EU-Medizinprodukteverordnung: DIHK fordert Nachbesserung

Gesundheitsminister sollten jetzt an den richtigen Stellschrauben drehen. Beispiel Einweg-Pipetten: Hier erwartet ein Hersteller einen verzehnfachten Dokumentationsaufwand. Der DIHK appelliert an die EU-Gesundheitsminister, sich bei ihren Beratungen am 9. Dezember auf dringend erforderliche Anpassungen der EU-Medizinprodukteverordnung zu verständigen. Andernfalls drohen Defizite bei der Versorgung mit wichtigen Medizinprodukten sowie eine Schwächung des Wirtschafts- und Gesundheitsstandorts.

Die EU-Medizinprodukteverordnung MDR ist seit Mai 2021 für Hersteller von Medizinprodukten verbindlich und hat zu hohen Hürden bei der Marktzulassung medizinischer Produkte geführt. Auch wenn der neue Rechtsrahmen richtige und wichtige Ziele verfolgt: In der Praxis stellt er die Unternehmen vor große Herausforderungen.

Kein Bestandsschutz für etablierte Produkte

So bietet die MDR etwa keinen Bestandsschutz für bereits auf dem Markt befindliche Medizinprodukte. Das bedeutet, dass auch Produkte, die bereits seit Jahren auf dem Markt sind und sich in der Versorgung bewährt haben, nach den neuen Anforderungen zertifiziert werden müssen – und zwar bis spätestens Mai 2024. Dieser Zeitplan ist aber nicht einzuhalten – allein schon aus Mangel an für die Genehmigung zuständigen Stellen.

Der DIHK hofft nun auf pragmatische Lösungen. "Die Kommission sollte mit ihrem Treffen jetzt ein klares Zeichen setzen, konkrete Lösungen aufzeigen und die Probleme nicht nur aufschieben", mahnt Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer. Er zählt auf: "Dazu gehört unter anderem eine Überarbeitung der bestehenden Übergangsbestimmungen, um allen Akteuren mehr Zeit zur Auflösung der bestehenden Engpässe zu verschaffen. Denkbar wären hier nach Risikoklassen gestaffelte Fristen."

Um die unnötige Vernichtung bereits produzierter sicherer Medizinprodukte zu verhindern, sei zudem die Abschaffung der Frist zum Abverkauf notwendig. "Damit sollen auch über Mai 2025 hinaus noch unter die Übergangsregelung fallende Medizinprodukte Endanwendern wie Krankenhäusern zur Verfügung gestellt werden können", erläutert Dercks. "Darüber hinaus braucht es aber auch Sonderregelungen für Nischenprodukte, wie es das für Arzneimittel, sogenannte Orphan Drugs, schon lange auf EU-Ebene gibt. Und schließlich sind pragmatischere Bewertungsansätze für bewährte Bestandsprodukte notwendig."

Engpassfaktor "Benannte Stellen"

Zudem würden Lösungen insbesondere für kleinere Unternehmen gebraucht, die trotz großer Bemühungen keine der sogenannten Benannten Stellen fänden, also der Instanzen, die den Prozess der Konformitätsbewertung von Medizinprodukten kontrollieren. Dercks weiter: "Die Politik muss neben der wichtigen Sicherung des Patientenwohls den Erhalt der Wettbewerbs- und Innovationskraft der mittelständischen Industrie stärker in den Blick nehmen. Gerade für Start-ups sowie kleinere und mittlere Unternehmen, beispielsweise im Bereich der digitalen Gesundheitswirtschaft, erschweren die Regelungen den Marktzugang wesentlich, so dass erhebliche Innovationshemmnisse bestehen."

Bereits zu Beginn dieses Jahres hatte eine DIHK-Umfrage unter 378 Unternehmen gezeigt, dass die MDR für die Hersteller von Medizinprodukten an vielen Stellen nicht praxistauglich ist. Die Ergebnisse machen deutlich, dass nicht nur die Vielfalt von Medizinprodukten in der EU kleiner, sondern auch die Wettbewerbskraft und Innovationsfähigkeit der europäischen Medizintechnikindustrie geschwächt wird. 

"Ein gravierendes Problem ist der Engpass bei den Benannten Stellen, die für die Bewertung von Medizinprodukten verantwortlich sind", sagt Achim Dercks. "Ihre Kapazitäten sind in der Zwischenzeit zwar etwa auf dem Niveau von früher. Dies reicht jedoch bei Weitem nicht aus. Es sind nicht nur erheblich mehr Medizinprodukte auf eine Bewertung durch eine Benannte Stelle angewiesen. Die Zertifizierungen mit Verfahrensdauern von 12 bis 24 Monaten sind zudem deutlich umfangreicher als zuvor."

Aufgrund von Kapazitätsproblemen bekämen viele Betriebe auf absehbare Zeit auch keine Terminzusagen für Produktprüfungen oder fänden überhaupt keine Benannte Stelle für ihre Produkte, gibt der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer zu bedenken – das gelte für lang bewährte Produkte ebenso für innovative Neuzulassungen.

Mehrkosten, Mehraufwand und Umsetzungsprobleme

Außerdem: Unternehmen sind mit deutlich mehr Bürokratie und erheblichen Kostensteigerungen konfrontiert, die insbesondere die Entwicklung und Vermarktung von Nischenprodukten oft unrentabel machen. Zudem machen die zusätzlichen Belastungen gerade den vielen kleinen und mittleren Betrieben mit begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen zu schaffen. Hinzu kommen praktische Probleme: Für die Überführung von Bestandsprodukten in die MDR fehlen vielfach Ärzte für erforderliche klinische Prüfungen, andernorts verhindern Negativ-Bescheide der Ethik-Kommission diese Prüfungen.

"Wir sehen jetzt schon eine Art Dominoeffekt", so Dercks: "Die MDR hat den ersten Stein angestoßen, die Auswirkungen schwächen nach und nach die gesamte deutsche Gesundheitswirtschaft. Wenn hier nicht schnell eingeschritten wird, werden die Folgen schwerwiegend sein."

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