Die Weltmärkte fest im Blick

Außenwirtschaft

Außenwirtschaft: Die Weltmaerkte fest im BlickAngriffe auf Frachtschiffe im Roten Meer, zunehmender Protektionismus: Das internationale  Geschäft ist für deutsche Unternehmen schwieriger geworden. Dennoch sind zahlreiche Betriebe, auch in Bonn und im Rhein-Sieg-Kreis, weiterhin im Ausland aktiv. Denn trotz etlicher Beschränkungen gibt es dort vielversprechende Märkte, die neue Chancen bieten.

Manchmal sagt ein einziger Satz alles. In einem im Februar erschienenen Interview der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ erwiderte Markus Miele, Geschäftsführer des gleichnamigen Traditionsunternehmens, auf die Frage, ob das von seinem Unternehmen geplante verstärkte Wachstum auf internationalen Märkten, etwa in China, nicht riskant sei: „Haben wir eine Alternative?“

Für viele Unternehmen in Deutschland ist das internationale Geschäft alternativlos. Das gilt auch für Betriebe in NRW und Bonn/Rhein-Sieg. 2022 exportierte und importierte die NRW-Wirtschaft laut „IHK-Außenwirtschaftsreport NRW 2022/2023“ mehr Waren und Dienstleistungen als in den vergangenen Jahren. Mit Ausfuhren im Wert von 233,7 Milliarden Euro liegt NRW auf Platz zwei im Ranking der exportstärksten Bundesländer, nach Baden-Württemberg. 29 Prozent der in NRW hergestellten Waren gehen ins Ausland. „Viele unserer Unternehmen sind auf die internationalen Märkte angewiesen“, betont Armin Heider, Bereichsleiter International der IHK Bonn/Rhein-Sieg, „ob für den Warenabsatz oder die Beschaffung.“ Meistens beides, denn die Verflechtungen sind eng und vielfältig.

Zugleich nehmen die Hemmnisse im internationalen Geschäft zu. Laut der aktuellen Umfrage „Going International 2024“ der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Berlin sehen sich mehr auslandsaktive Unternehmen als je zuvor mit neuen Hürden konfrontiert. 63 Prozent der Befragten haben mit internationalen Sanktionen, lokalen Zertifizierungsanforderungen, verstärkten Sicherheitsanforderungen, intransparenter Gesetzgebung und höheren Zöllen zu kämpfen. Dazu kommen noch die gestörten Lieferketten. Dieses Problem wurde durch Corona erstmals sicht- und spürbar. Mit dem Abebben der Pandemie wurde es besser, doch zei-gen sich viele Lieferketten weiterhin äußerst anfällig. Aktuelles Beispiel: die Angriffe der jemenitischen Huthi-Rebellen auf Frachtschiffe im Roten Meer.

Eine Herausforderung, denn hier verläuft der kürzeste Seeweg von Europa nach Asien. Die Route hat eine immense Bedeutung: Rund ein Zehntel des gesamten Welthandels führt über diesen Transportweg. Das zeigte sich zuletzt vor drei Jahren, als das Containerschiff „Ever Given“ über eine Woche die durch den Suezkanal führende Handelsstraße blockierte. Die augenblickliche Lage ist problematischer, sie dauert schon Monate an. Lange Umwege und damit längere Lieferzeiten sind die Folge. Das ist auch in Deutschland zu spüren, wenn Produktionen stillstehen oder sich verzögern, weil Waren oder Material aus dem Ausland fehlen.

Gestörte Lieferketten, zunehmende Bürokratie

„Das internationale Geschäft ist anspruchsvoller geworden“, bestätigt Sebastian Ahrens. Der Manager ist kaufmännischer Geschäftsführer der Mannstaedt GmbH aus Troisdorf und da-mit auch verantwortlich für das Außenhandelsgeschäft des nach Firmenangaben weltweit führenden Herstellers für warmgewalzte Spezialprofile aus Stahl. Abnehmer sind beispielsweise die Bau- und Automobilbranche oder Hersteller von Landmaschinen und Gabelstaplern. Wie so viele Unternehmen ist auch Mannstaedt auf funktionierende Lieferketten angewiesen, ihnen gilt deshalb ein besonderes Augenmerk.

Sebastian Ahrens, kaufmännischer Geschäftsführer der Mannstaedt GmbH, TroisdorfAls großer Pluspunkt erweist sich, dass Mannstaedt rund die Hälfte der Stahlblöcke, die für die Herstellung der Produkte benötigt werden, innerhalb der weltweit agierenden GMH Gruppe beziehen kann, der das Troisdorfer Unternehmen angehört. „Das macht uns weniger abhängig“, betont Ahrens. Die übrigen Mengen bezieht Mannstaedt von langjährigen Partnern in Europa.

„Solide und belastbare Lieferbeziehungen sind gerade in Krisenzeiten sehr wichtig“, weiß der Geschäftsführer, „denn Lieferketten können jederzeit und überall gestört werden, wie man derzeit im Roten Meer sieht. Deshalb müssen wir uns so früh und umfassend wie möglich darauf einstellen und nicht erst hinterher reagieren.“ Mannstaedt zählt 650 Beschäftigte, darunter auch einige, die sich innerhalb des Versandteams hauptsächlich mit Export- und Zollthemen befassen. „Das ist unabdingbar, denn die Bürokratie im internationalen Handel hat extrem zugenommen“, klagt Ahrens. Als Beispiel nennt er die Russland-Sanktionen. „Da müssen Sie jederzeit sämtliche Vorschriften kennen und dürfen keinerlei Fehler machen.“

Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz belastet kleinere Unternehmen

Es gibt weitere Beispiele. „Im internationalen Geschäft gelten immer mehr Regelungen, die die Unternehmen beachten und dokumentieren müssen“, kritisiert IHK-Außenhandelsexperte Heider. Mitte März einigten sich die EU-Staaten nach langem Ringen und deutscher Enthaltung auf ein europäisches Lieferkettengesetz. In Deutschland gilt bereits das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Das Gesetz verlangt weitere neue Sorgfaltspflichten, die deutsche Unternehmen ab einer bestimmten Größe nicht nur einhalten, sondern auch dokumentieren müssen. Auch wenn es erst für Betriebe mit mehr als 1.000 Beschäftigten gilt, sind kleine und mittlere Betriebe (KMU) ebenfalls mittelbar betroffen. Denn als kleinere Partner in der Lieferkette erwarten die Auftraggeber von ihnen, dass sie nachweisen, nicht gegen die Auflagen zu verstoßen.

Ein anderes Bürokratie-Beispiel: der EU-CO2-Grenzausgleichsmechanismus CBAM („Carbon Border Adjustment Mechanism“). Er ist seit Oktober 2023 in Kraft. Ab 2026 müssen für den Import von ausgewählten Eisen-, Stahl- und Aluminiumerzeugnissen, Düngemitteln, Zement, Elektrizität und Wasserstoff CBAM-Zertifikate gekauft werden.

Bis dahin müssen Unternehmen CBAM-Erklärungen zum Handel mit den davon betroffenen Gütern abgeben. „Nur noch autorisierte Importeure dürfen dann entsprechende Erzeugnisse einführen“, erklärt Heider, „wobei sie extrem umfangreichen Meldepflichten nachkommen müssen.“ Das gilt selbst für kleine Erzeugnisse wie etwa Schrauben ab einem Warenwert von 150 Euro. Es gibt keine Ausnahmen für KMU. Die Liste von Regularien der jüngeren Zeit, die allesamt Berichtspflichten nach sich ziehen, ließe sich seitenfüllend fortsetzen.

Reinhold Wolscht, Geschäftsführer der Filter Profitlich Maschinenbau GmbH, Bad Honnef„Die vielen Neuregelungen und der zunehmende Bürokratieaufwand drohen gerade kleineren Betrieben über den Kopf zu wachsen“, klagt Reinhold Wolscht. Er ist Geschäftsführer der Filter Profitlich Maschinenbau GmbH in Bad Honnef. Ein vergleichsweise kleines Unternehmen mit rund 20 Beschäftigten, das dennoch Kunden in der ganzen Welt hat, die aus Bad Honnef Filteranlagen für den Kunststoff-, Gießerei-, Werkzeug-, Anlagen- und Aggregatebau beziehen.

Zollfragen spielen dabei eine wichtige Rolle. „Es gibt enorm viele Regelungen und häufig Neuerungen“, erzählt Wolscht, „es ist sehr anspruchsvoll, sich jederzeit auf dem aktuellen Stand zu halten.“ Dankbar ist er deshalb für das Engagement seiner IHK, die ihren Mitgliedsunternehmen umfangreiche In-formationen zu allen Aspekten rund um das Export- und Importgeschäft zur Verfügung stellt und auch regelmäßig in Veranstaltungen über aktuelle Themen des Auslandsgeschäfts informiert. Mit ihren Ausschüssen bietet sie Unternehmerinnen und Unternehmern wie Wolscht die Gelegenheit, sich ehrenamtlich für die Wirtschaft in der Region zu engagieren und gleichzeitig von der Expertise der Kolleginnen und Kollegen zu profitieren.

Wolscht selbst hat sich für den Industrieausschuss der IHK Bonn/Rhein-Sieg entschieden, in dem er seit Jahren aktiv ist. Gleichzeitig engagiert er sich in Berlin im Außenwirtschaftsausschuss der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). „In Bonn ebenso wie in Berlin profitieren insbesondere die Repräsentanten kleinerer Betriebe enorm von dem Austausch“, betont Wolscht. „Jedes Mitglied bringt eigene Themen mit, und stets bringt einen die gemeinsame Erörterung neue Erkenntnisse und Betrachtungsweisen“, lobt er.

Diskutiert wurde im DIHK-Außenwirtschaftsausschuss auch das deutsche und europäische Lieferkettengesetz. „Durch solche Gesetze entstehen neue Handelshemmnisse vor allem für kleinere Unternehmen, zudem sorgt es für einen erheblichen Mehraufwand an Bürokratie. Die Auflagen machen das internationale Geschäft schwieriger,“ sagt Wolscht. Das spüre er auch im eigenen Betrieb.

Erfahrungsaustausch zu Zoll- und Außenhandelsfragen

Ein weiteres Gremium, mit dem die IHK Bonn/Rhein-Sieg auslandsaktive Unternehmen unterstützt, ist die Erfahrungsaustauschgruppe (Erfa) Zoll- und Außenhandelspraxis. Sie versteht sich als praxisorientiertes Arbeits- und Gesprächsforum, dem zurzeit 40 Personen aus der regionalen Wirtschaft angehören. Im Mittelpunkt der regelmäßigen Treffen stehen aktuelle Probleme und Fragen aus den Fachbereichen Außenwirtschafts-, Ursprungs- und Zollrecht.

Reinhard Fischer, Vice President Global Customs Office, DHL Group in Bonn.Reinhard Fischer leitet den Kreis. Er ist „Vice President Global Customs Office“ bei der DHL Group. In dieser Eigenschaft ist er quasi der höchste Zoll-Experte im Bonner Dax-Konzern mit rund 600.000 Beschäftigten weltweit. Mehr als 18.000 davon befassen sich mit dem Thema Zoll. Eine beträchtliche Menge. Würde man das auf einen 60-Personen-Betrieb herunterrechnen, wären zwei Personen für Zollfragen zuständig.

„Die Zollabfertigung ist ein hochintensiver Prozess und ein riesiger Aufwand“, erklärt Fischer. Das gelte auch in Zeiten der Digitalisierung. Denn: „Es gibt selbst innerhalb der EU keine gemeinsame Zoll-IT, die Systeme sind komplex und immer noch ist Papier im Spiel.“

Weil viele kleine Firmenkunden von DHL kein eigenes Zoll-Know-How haben, übernimmt der Konzern auf Wunsch die Abwicklungen. „Die rechtlichen Anforderungen, denen der grenzüberschreitende Warenverkehr unterliegt, nehmen immer weiter zu“, beobachtet der Experte. Je nach Warenart müssten zahlreiche individuelle Regelungen beachtet wer-den, zum Beispiel das Arzneimittel- oder Waffenrecht, das Washingtoner Artenschutzabkommen oder die Regelungen zur Produktsicherheit sowie diverse Auflagen für Lebensmittel oder Kulturgüter.

„80 Prozent des Aufwands im Zollprozess entstehen durch die immer mehr und komplexer werdenden nicht tarifären Anforderungen“, erklärt Fischer. Aus Sicht kleiner und mittlerer Unternehmen, die das Gros der Mitglieder im Erfa-Kreis der IHK Bonn/Rhein-Sieg stellen, sei dies ein riesengroßes Problem. Weil ein großes Know-How nötig sei. Und weil sich immer wie-der etwas ändere. „Ich kann den hiesigen Firmen nur empfehlen, jemanden in den Erfa-Kreis zu entsenden, der Austausch lohnt sich unbedingt“, wirbt Fischer. Immer wieder nehmen auch Fachleute teil, etwa vom Zoll und anderen Behörden, außerdem gibt es jeden Herbst ein Update zu allen zollrechtlichen Änderungen, die im Folgejahr wirksam werden.

Neue Chancen – zum Beispiel in Südostasien

In vielerlei Hinsicht ist das internationale Geschäft komplizierter geworden. Die Unternehmen beklagen das, die meisten lassen sich aber nicht einschüchtern. „Wir stellen uns darauf ein und bekommen das hin“, sagt etwa Sebastian Ahrens von Mannstaedt. Doch es gibt auch positive Entwicklungen. „Die Schweiz hat jüngst Zölle auf Industriegüter gestrichen“, berichtet IHK-Auslandsexperte Heider.

Ein anderes Beispiel: Die seit 2016 laufenden Verhandlungen der EU mit Indonesien über ein Freihandelsabkommen könnten dieses Jahr zu einem positiven Abschluss kommen. „Dies würde den bilateralen Warenhandel zwischen der EU und Indonesien fördern und erleichtern, der sich allein im Jahr 2020 auf 20 Milliarden Euro belaufen hat“, sagt Dr. Tobias Traupel, Abteilungsleiter Europa, Recht und Außenwirtschaft im Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie (MWIKE) (siehe dazu Titel Extra). Davon würden dann auch die stark exportorientierten Unternehmen in NRW deutlich profitieren.

Lothar Schmitz, freier Journalist, Bonn