Erfolgreich durch juristische UntiefenWas gehört alles in einen Arbeitsvertrag? Ist meine Website eigentlich rechtskonform? Wie kann ich gegen eine Abmahnung vorgehen? Und muss ich im Webshop Netto- oder Bruttopreise angeben? Fragen wie diese gehören zum Unternehmensalltag. Von der Gründung bis zur Firmenübergabe spielt das Recht eine wichtige Rolle. Häufig geht es um Fragen des Arbeits-, Datenschutz- oder Wettbewerbsrechts.
An das Telefonat wird sich Anja Meyer* noch lange erinnern. Es ging um einen „Google My Business“-Eintrag. Der Mitarbeiter einer Marketingfirma mit Sitz in Nordrhein-Westfalen – der Firmenname ist der Redaktion bekannt – warb in dem Telefongespräch mit Meyers Ehemann, Inhaber eines kleinen Unternehmens im Rhein-Sieg-Kreis, für eine Dienstleistung, die dafür sorgen sollte, dass ihr Betrieb künftig bei regionalen Google-Suchen an prominenter Stelle erscheinen würde. „Das hat sich für meinen Mann zunächst interessant angehört, deshalb stimmte er auch der Aufzeichnung des Telefonats zu“, erzählt Meyer. Er sei dann davon ausgegangen, dass ihm die Firma ein Angebot schicken werde und er das noch einmal in aller Ruhe durchlesen und prüfen könne.
Die Meyers gründeten ihr Unternehmen erst 2020; es zählt inzwischen vier Beschäftigte. Da das Telefonat noch ein juristisches Nachspiel haben sollte, wird hier auf Wunsch des Unternehmens der Firmenname nicht genannt. Das Unternehmen erhielt nämlich kein Angebot, sondern einen Vertrag mit drei Jahren Laufzeit und eine Rechnung über die erste monatliche Rate von 144 Euro netto. Weder die Höhe der Raten noch einige weitere Vertragsdetails hätten laut Meyer mit dem übereingestimmt, was ihr Mann am Telefon besprochen habe.
Widerrufen konnten sie den Vertrag nicht, denn ein entsprechendes Widerrufsrecht gibt es bei Geschäften zwischen Unternehmen nicht. Die Marketingfirma bot zwar an, den Vertrag aufzuheben – allerdings gegen eine einmalige Zahlung von 480 Euro. Das wiederum lehnten die Meyers ab. Und die Rechnung über 144 Euro beglichen sie nicht. Daraufhin erhielten sie eine erste Mahnung.
Wenn Chef oder Chefin sich selbst kümmern müssen
„Immer wieder melden sich Mitgliedsunternehmen und suchen bei uns Rat in Situationen wie diesen“, sagt Dr. Christina Schenk, Bereichsleiterin Recht und Steuern der IHK Bonn/Rhein-Sieg. Denn: Gerade kleine Betriebe unterhalten meist keine eigene Rechtsabteilung. Dann ist es oft der Chef oder die Chefin selbst, die sich um alles Wesentliche kümmern muss. Eine juristische Ausbildung haben nur die wenigsten.
Dr. Michael HornDas Problem: „Es gibt leider seit Jahren den Trend, dass die Rechtsmaterie immer komplexer wird und viele Gesetze eher auf größere Unternehmen zugeschnitten sind“, beobachtet Dr. Michael Horn, Geschäftsführer und Gründer der SOURCE LAW Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Bonn und Gastmitglied im Rechts- und Steuerausschuss der IHK Bonn/Rhein-Sieg.
Tatsächlich sehen sich Unternehmerinnen und Unternehmer in allen Stadien ihres Unternehmertums mit Rechtsfragen konfrontiert. Das beginnt schon bei der Gründung, wenn es etwa um die korrekte Rechtsform des künftigen Unternehmens geht. Sobald man auf dem Markt aktiv wird, spielen etwa das Wettbewerbs- und Datenschutzrecht eine tragende Rolle. „Ab dem Moment, da sie jemanden einstellen möchten, müssen die Unternehmen dann zusätzlich das Arbeitsrecht im Auge behalten“, sagt IHK-Rechtsexpertin Schenk.
Just zu diesen drei Rechtsgebieten erhält die IHK von den Unternehmen in der Region häufig Anfragen; deshalb stehen sie im Mittelpunkt dieser Titelgeschichte.
Je nach Geschäftstätigkeit kommen weitere Rechtsgebiete hinzu. Und selbst im ungünstigen Fall einer Insolvenz oder im günstigen Fall einer geregelten Nachfolge geht nichts ohne juristische Erstberatung, etwa durch eine IHK, oder die weitere Expertise einer Anwalts- oder Steuerberatungskanzlei.
Netto- oder Bruttopreise auf der Website?
Denis Ringle kontaktierte bereits zu Beginn seiner Geschäftstätigkeit die IHK. Er wollte vorbeugen und von Anfang an alles Wichtige berücksichtigen, ohne in eine juristische Falle zu tappen.
Der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann übernahm Anfang 2022 das Unternehmen My Cases. Es vertreibt Transportkoffer und sogenannte Flightcases, sowohl in Standardgrößen als auch maßgefertigt. Zielgruppe sind Industriekunden etwa in der Medizintechnik, im Maschinenbau oder im Segment Mess- und Prüftechnik, außerdem die Veranstaltungsbranche und der Motorsport.
Denis Ringle
Das Unternehmen aus Sankt Augustin ist bereits seit zehn Jahren im Internet präsent. Ringle hat nun den Webauftritt komplett überarbeitet. Dabei stolperte er über die früheren Preisangaben. „Der Vorbesitzer führte ausschließlich Nettopreise auf“, erzählt er, „ich war mir nicht sicher, ob das korrekt ist.“ Also suchte Ringle den Kontakt mit der Rechtsabteilung der IHK Bonn/Rhein-Sieg. Dort ließ er sich bestätigen, dass Nettopreise nur im reinen B2B-Geschäft zulässig sind, also zwischen Unternehmen. Da aber immer wieder auch Privatkunden bei My Cases bestellen, müssen zwingend auch Bruttopreise angegeben werden.
Als Ringle dann vor einigen Monaten von der Abmahnwelle in Sachen „Google Fonts“ (siehe „Die Wirtschaft“ 01/23) hörte, stellte er den gesamten Webauftritt noch einmal auf den Prüfstand. „Ich wollte sichergehen, dass wir keine Angriffsfläche bieten“, betont der Unternehmer. Bevor die neue Website an den Start ging, zog er zudem nochmals einen Datenschutzexperten hinzu.
Größeres Bewusstsein für Datenschutz
Simone Lennarz„Das ist eine gute Idee“, findet Simone Lennarz, Referentin im Geschäftsbereich Recht und Steuern der IHK Bonn/Rhein-Sieg. „Seit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung 2018 hat das Bewusstsein für Datenschutz in den Unternehmen zwar zugenommen, aber gerade in kleineren Betrieben fehlen oft Zeit und Budget, um sich angemessen damit auseinanderzusetzen.“
Michael Horn teilt ihre Einschätzung. Er geht noch weiter: „Kein Unternehmen schafft es, zu 100 Prozent datenschutzkonform zu sein“, glaubt der Bonner Anwalt. Aber man könne kontinuierlich besser werden. Einsteigen sollte man quasi mit den „niedrig hängenden, leicht zu erntenden“ Früchten, sagt Horn. „Vieles lässt sich einfach und schnell umsetzen und schafft eine gute Grundlage.“
So sollte jeder Betrieb seinen Dokumentationspflichten gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nachkommen. Sprich aufschreiben, wie zum Beispiel mit Beschäftigten- und Kundendaten umgegangen wird, wer Zugriff auf welche Daten hat und wie und wo diese gespeichert werden. „Am besten klar und übersichtlich in einem Ordner, den man schnell zur Hand hat“, empfiehlt Horn. Auch eine ehrliche Überprüfung der vorhandenen Lücken („Gap-Analyse“), also die Gegenüberstellung von Pflichten und dem, was bereits umgesetzt wurde, sei schnell gemacht. Dann wisse man, wo man steht und was die nächsten Schritte sind.
Wichtig sei zudem ein klarer Fokus auf die Website. „Mit einer Webpräsenz sind Unternehmen heute nun einmal exponiert. Hier fällt am ehesten auf, wenn bestimmte datenschutz- und wettbewerbsrechtliche Vorschriften nicht eingehalten werden“, mahnt der Bonner Anwalt.
Auch Silvio Reiche hat die IHK frühzeitig kontaktiert. Der geprüfte Immobilienmakler ILS startete 2021 in Meckenheim sein Unternehmen Collective Momentum
Silvio ReicheImmobilien. Er nutzte die Gründungsberatung der IHK und lernte dabei, dass ihm die IHK auch in Sachen Datenschutz und Wettbewerbsrecht wertvolle Tipps geben kann. „Ich hatte ein gewisses Bewusstsein dafür, worauf es ankommt“, erinnert sich Reiche, „kannte mich im Detail aber natürlich nicht aus.“ Wissen wollte er zum Beispiel, was er bei der Konzeption der Website rechtlich beachten muss und wie er rechtskonform potenzielle Kunden ansprechen kann. „Simone Lennarz hat mich im Gespräch durch die juristischen Untiefen gelotst und mich auf zahlreiche dabei zu beachtende Aspekte aufmerksam gemacht“, lobt Reiche den IHK-Service.
Von Arbeitsvertrag bis Kündigung: Arbeitsrecht
Auch in Sachen Arbeitsrecht wenden sich vor allem kleinere Mitgliedsunternehmen gerne an die Kammer. Und Unternehmerinnen und Unternehmer in Gründung. Gerade an einem Konzernstandort wie Bonn würden sich Gründungen häufig im Zuge des Outsourcings ergeben, zunächst mit nur einem Kunden und oft noch ohne Angestellte, berichtet Schenk. „Da stellt sich natürlich die Frage, ob man scheinselbstständig ist und wie man dem vorbeugt.“
Wer diese wichtige Hürde genommen hat, muss sich häufig mit der Rentenversicherungspflicht auseinandersetzen. Wer keine Angestellten beschäftigt und auf Dauer über 80 Prozent seines Umsatzes mit nur einem Auftraggeber erzielt, gilt als arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger und ist unter anderem rentenversicherungspflichtig. Befreiungsmöglichkeiten gibt es zum Beispiel auf Antrag für Existenzgründende in den ersten drei Jahren ihrer Tätigkeit. „Die Deutsche Rentenversicherung bietet ein Statusfeststellungsverfahren für die Fragen rund um die Scheinselbstständigkeit an, das sollte man machen, wenn man Zweifel hat“, rät Schenk.
Spätestens, wenn man die Geschäfte nicht mehr allein bewältigen kann, rückt das Arbeitsrecht in den Fokus. Wie schließt man korrekt ein Arbeitsverhältnis ab? Welche Rechte und Pflichten gehen mit einem Werkvertrag, einem Minijob, einer befristeten oder unbefristeten Stelle einher? Was ist bei Teilzeitbeschäftigung zu beachten? Und wie sieht es, wenn es nicht gut läuft, mit einer rechtmäßigen Kündigung aus? „Wer keine eigene Rechtsabteilung hat und kein Risiko eingehen will, wendet sich bei solchen Fragen häufig an die IHK oder schließlich an eine Anwaltskanzlei“, weiß Schenk.
Die IHK bietet zu diesen und vielen anderen Rechtsthemen eine Erstberatung, aber auch umfangreiche Informationen im Internet sowie in Infoveranstaltungen.
Ein Klassiker im Wettbewerbsrecht: Die Abmahnung
Trotz aller Beratung kommen Unternehmen immer wieder in Situationen, in denen sie mit tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsverstößen konfrontiert werden. Ein Klassiker ist die Abmahnung. „Das Wettbewerbsrecht ist so geregelt, dass die Marktteilnehmer ein Problem zunächst untereinander klären“, erläutert Dr. Petra Tiedemann. „Wer sich benachteiligt fühlt, kann das betreffende Unternehmen nach dem UWG, also dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, abmahnen. Eine Behörde ist nicht involviert.“
Dr. Petra Tiedemann
Tiedemann ist Rechtsanwältin, Steuerberaterin und Fachberaterin für Unternehmensnachfolge mit eigener Kanzlei in Siegburg. Zudem engagiert sie sich ehrenamtlich als Mitglied im Rechts- und Steuerausschuss der IHK. Die Firmen, die sich bei ihr melden, haben eine Abmahnung erhalten. Sie wollen sich dagegen wehren, wissen aber nicht, wie sie vorgehen müssen.
Typische Abmahnanlässe sind irreführende Preisangaben oder Alleinstellungsbehauptungen. Eine Abmahnung beinhaltet stets zwei Aufforderungen: zum einen das behauptete Fehlverhalten einzustellen und zum anderen darauf künftig zu verzichten. Dazu soll das betreffende Unternehmen eine Unterlassungserklärung unterschreiben.
„Egal ob eine Abmahnung berechtigt ist oder nicht“, erklärt Tiedemann, „man muss reagieren.“ Zunächst prüft sie im Auftrag ihrer Mandanten, ob die Abmahnung statthaft ist. Ist sie es, rät sie dazu, die Unterlassungserklärung zu unterzeichnen und das Verhalten zu ändern. Ist sie es ihrer Überzeugung nach nicht, wird sie aktiv und setzt ein entsprechendes Schreiben an die abmahnende Partei auf. Dann ist diese wieder am Zug: Beharrt sie auf ihrem Standpunkt, muss ein Gericht den Sachverhalt klären.
Doch es geht auch ohne Gericht. Die IHKs in Deutschland unterhalten, so regelt es das Gesetz zum Schutz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), eine Einigungsstelle für die Beilegung von Wettbewerbsstreitigkeiten in der gewerblichen Wirtschaft; so auch die IHK Bonn/Rhein-Sieg. Die Verfahren werden im Falle einer Einigung zwischen den Parteien mit einem Vergleich abgeschlossen.
So legitim eine Abmahnung im Einzelfall auch ist – immer wieder kommt es wie im genannten Beispiel „Google Fonts“ zu Abmahnwellen. Dabei machen sich darauf spezialisierte Kanzleien minimale Fehler auf den Websites von Unternehmen zu Nutze, um die Betroffenen dann systematisch abzumahnen. „Das ist seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs im Dezember 2020 zum Glück stark zurückgegangen“, berichtet Tiedemann. Das Gesetz richtet sich dezidiert gegen Abmahnmissbrauch. Es stellt höhere Anforderungen, um Ansprüche geltend machen zu können, verringert finanzielle Anreize für Abmahnungen und sieht mehr Transparenz sowie vereinfachte Möglichkeiten für Gegenansprüche vor.
Dauerbrenner: Vertragsfallen
Dr. Christina SchenkEin weiterer Dauerbrenner: Vertragsfallen. Eine Variante, die Christina Schenk und ihre Kolleginnen in der IHK-Rechtsabteilung immer wieder beobachten: Firmen, die gerade ins Handelsregister eingetragen wurden, erhalten plötzlich mehrere Anschreiben zum Datenabgleich. Die Adressaten gehen davon aus, dass diese offiziell anmutenden Anschreiben mit der Eintragung ins Handelsregister in Zusammenhang stehen. Sie unterschreiben diese und übersehen, dass sie damit einen neuen Vertrag zur kostenpflichtigen Eintragung in ein Verzeichnis geschlossen haben. „Diese Betrugsmasche kommt leider häufig vor“, sagt Schenk.
Der Fall unseres zu Anfang erwähnten Beispielunternehmens aus dem Rhein-Sieg-Kreis ist etwas komplizierter. Denn der vermeintliche Serviceanbieter pochte darauf, dass am Telefon bereits ein Vertrag zustande gekommen sei.
Tatsächlich müssen Verträge nicht zwangsläufig schriftlich abgeschlossen werden, um gültig zu sein. Aber: „Man muss sich zuvor über alle wesentlichen Bestandteile geeinigt haben“, betont Schenk. Genau das bestreiten die Unternehmerin und ihr Ehemann. Weder sei von den erhöhten Monatsraten die Rede gewesen, sagt Anja Meyer, noch habe der Anbieter seine Dienstleistung wirklich im Detail deutlich gemacht.
Die Masche des Unternehmens: Das Gespräch wird aufgezeichnet, um später einen Beweis zu haben. Allerdings spricht der Mitarbeiter teilweise extrem schnell und undeutlich, außerdem wird immer wieder auf Details verwiesen, über die man angeblich vor der Aufzeichnung bereits Einigkeit erzielt habe.
Googelt man den Namen des Unternehmens, stößt man schon unter den ersten Treffern auf „Vorsicht!“, „Anfechtung“, „Warnung“, „Urteil gegen…“ oder „Achtung Vertragsfalle“.
Noch ist die Sache nicht ausgestanden. Die Meyers wollen jedenfalls nicht zahlen. Sollte auf die erste eine weitere Mahnung folgen, wollen sie die Sache an eine Anwaltskanzlei übergeben und Strafanzeige erstatten. Gelernt haben sie auf jeden Fall. „So etwas wird uns nicht mehr passieren“, sagt Anja Meyer, „wir werden künftig vorsichtiger sein.“
Von Lothar Schmitz, freier Journalist, Bonn
So hilft die IHK
Ohne Recht geht nichts im Leben einer Unternehmerin und eines Unternehmers. Eine sichere Rechtsgrundlage ist Basis für die längerfristige erfolgreiche Geschäftstätigkeit. Hierzu finden Interessierte viele Informations-, Unterstützungs- und Beratungsangebote bei der IHK