Erfolgreich durch juristische Untiefen

Was Unternehmen wissen sollten

Erfolgreich durch juristische UntiefenWas gehört alles in einen Arbeitsvertrag? Ist meine Website eigentlich rechtskonform? Wie kann ich gegen eine Abmahnung vorgehen? Und muss ich im Webshop Netto- oder Bruttopreise angeben? Fragen wie diese gehören zum Unternehmensalltag. Von der Gründung bis zur Firmenübergabe spielt das Recht eine wichtige Rolle. Häufig geht es um Fragen des Arbeits-, Datenschutz- oder Wettbewerbsrechts.

An das Telefonat wird sich Anja Meyer* noch lange erinnern. Es ging um einen „Google My Business“-Eintrag. Der Mitarbeiter einer Marketingfirma mit Sitz in Nordrhein-Westfalen – der Firmenname ist der Redaktion bekannt – warb in dem Telefongespräch mit Meyers Ehemann, Inhaber eines kleinen Unternehmens im Rhein-Sieg-Kreis, für eine Dienstleistung, die dafür sorgen sollte, dass ihr Betrieb künftig bei regionalen Google-Suchen an prominenter Stelle erscheinen würde. „Das hat sich für meinen Mann zunächst interessant angehört, deshalb stimmte er auch der Aufzeichnung des Telefonats zu“, erzählt Meyer. Er sei dann davon ausgegangen, dass ihm die Firma ein Angebot schicken werde und er das noch einmal in aller Ruhe durchlesen und prüfen könne.

Die Meyers gründeten ihr Unternehmen erst 2020; es zählt inzwischen vier Beschäftigte. Da das Telefonat noch ein juristisches Nachspiel haben sollte, wird hier auf Wunsch des Unternehmens der Firmenname nicht genannt. Das Unternehmen erhielt nämlich kein Angebot, sondern einen Vertrag mit drei Jahren Laufzeit und eine Rechnung über die erste monatliche Rate von 144 Euro netto. Weder die Höhe der Raten noch einige weitere Vertragsdetails hätten laut Meyer mit dem übereingestimmt, was ihr Mann am Telefon besprochen habe.

Widerrufen konnten sie den Vertrag nicht, denn ein entsprechendes Widerrufsrecht gibt es bei Geschäften zwischen Unternehmen nicht. Die Marketingfirma bot zwar an, den Vertrag aufzuheben – allerdings gegen eine einmalige Zahlung von 480 Euro. Das wiederum lehnten die Meyers ab. Und die Rechnung über 144 Euro beglichen sie nicht. Daraufhin erhielten sie eine erste Mahnung.

Wenn Chef oder Chefin sich selbst kümmern müssen

„Immer wieder melden sich Mitgliedsunternehmen und suchen bei uns Rat in Situationen wie diesen“, sagt Dr. Christina Schenk, Bereichsleiterin Recht und Steuern der IHK Bonn/Rhein-Sieg. Denn: Gerade kleine Betriebe unterhalten meist keine eigene Rechtsabteilung. Dann ist es oft der Chef oder die Chefin selbst, die sich um alles Wesentliche kümmern muss. Eine juristische Ausbildung haben nur die wenigsten.

Dr. Michael HornDas Problem: „Es gibt leider seit Jahren den Trend, dass die Rechtsmaterie immer komplexer wird und viele Gesetze eher auf größere Unternehmen zugeschnitten sind“, beobachtet Dr. Michael Horn, Geschäftsführer und Gründer der SOURCE LAW Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Bonn und Gastmitglied im Rechts- und Steuerausschuss der IHK Bonn/Rhein-Sieg.

Tatsächlich sehen sich Unternehmerinnen und Unternehmer in allen Stadien ihres Unternehmertums mit Rechtsfragen konfrontiert. Das beginnt schon bei der Gründung, wenn es etwa um die korrekte Rechtsform des künftigen Unternehmens geht. Sobald man auf dem Markt aktiv wird, spielen etwa das Wettbewerbs- und Datenschutzrecht eine tragende Rolle. „Ab dem Moment, da sie jemanden einstellen möchten, müssen die Unternehmen dann zusätzlich das Arbeitsrecht im Auge behalten“, sagt IHK-Rechtsexpertin Schenk.

Just zu diesen drei Rechtsgebieten erhält die IHK von den Unternehmen in der Region häufig Anfragen; deshalb stehen sie im Mittelpunkt dieser Titelgeschichte.

Je nach Geschäftstätigkeit kommen weitere Rechtsgebiete hinzu. Und selbst im ungünstigen Fall einer Insolvenz oder im günstigen Fall einer geregelten Nachfolge geht nichts ohne juristische Erstberatung, etwa durch eine IHK, oder die weitere Expertise einer Anwalts- oder Steuerberatungskanzlei.

Netto- oder Bruttopreise auf der Website?

Denis Ringle kontaktierte bereits zu Beginn seiner Geschäftstätigkeit die IHK. Er wollte vorbeugen und von Anfang an alles Wichtige berücksichtigen, ohne in eine juristische Falle zu tappen.

Der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann übernahm Anfang 2022 das Unternehmen My Cases. Es vertreibt Transportkoffer und sogenannte Flightcases, sowohl in Standardgrößen als auch maßgefertigt. Zielgruppe sind Industriekunden etwa in der Medizintechnik, im Maschinenbau oder im Segment Mess- und Prüftechnik, außerdem die Veranstaltungsbranche und der Motorsport.Denis Ringle

Das Unternehmen aus Sankt Augustin ist bereits seit zehn Jahren im Internet präsent. Ringle hat nun den Webauftritt komplett überarbeitet. Dabei stolperte er über die früheren Preisangaben. „Der Vorbesitzer führte ausschließlich Nettopreise auf“, erzählt er, „ich war mir nicht sicher, ob das korrekt ist.“ Also suchte Ringle den Kontakt mit der Rechtsabteilung der IHK Bonn/Rhein-Sieg. Dort ließ er sich bestätigen, dass Nettopreise nur im reinen B2B-Geschäft zulässig sind, also zwischen Unternehmen. Da aber immer wieder auch Privatkunden bei My Cases bestellen, müssen zwingend auch Bruttopreise angegeben werden.

Als Ringle dann vor einigen Monaten von der Abmahnwelle in Sachen „Google Fonts“ (siehe „Die Wirtschaft“ 01/23) hörte, stellte er den gesamten Webauftritt noch einmal auf den Prüfstand. „Ich wollte sichergehen, dass wir keine Angriffsfläche bieten“, betont der Unternehmer. Bevor die neue Website an den Start ging, zog er zudem nochmals einen Datenschutzexperten hinzu.

Größeres Bewusstsein für Datenschutz

Simone Lennarz„Das ist eine gute Idee“, findet Simone Lennarz, Referentin im Geschäftsbereich Recht und Steuern der IHK Bonn/Rhein-Sieg. „Seit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung 2018 hat das Bewusstsein für Datenschutz in den Unternehmen zwar zugenommen, aber gerade in kleineren Betrieben fehlen oft Zeit und Budget, um sich angemessen damit auseinanderzusetzen.“

Michael Horn teilt ihre Einschätzung. Er geht noch weiter: „Kein Unternehmen schafft es, zu 100 Prozent datenschutzkonform zu sein“, glaubt der Bonner Anwalt. Aber man könne kontinuierlich besser werden. Einsteigen sollte man quasi mit den „niedrig hängenden, leicht zu erntenden“ Früchten, sagt Horn. „Vieles lässt sich einfach und schnell umsetzen und schafft eine gute Grundlage.“

So sollte jeder Betrieb seinen Dokumentationspflichten gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nachkommen. Sprich aufschreiben, wie zum Beispiel mit Beschäftigten- und Kundendaten umgegangen wird, wer Zugriff auf welche Daten hat und wie und wo diese gespeichert werden. „Am besten klar und übersichtlich in einem Ordner, den man schnell zur Hand hat“, empfiehlt Horn. Auch eine ehrliche Überprüfung der vorhandenen Lücken („Gap-Analyse“), also die Gegenüberstellung von Pflichten und dem, was bereits umgesetzt wurde, sei schnell gemacht. Dann wisse man, wo man steht und was die nächsten Schritte sind.

Wichtig sei zudem ein klarer Fokus auf die Website. „Mit einer Webpräsenz sind Unternehmen heute nun einmal exponiert. Hier fällt am ehesten auf, wenn bestimmte datenschutz- und wettbewerbsrechtliche Vorschriften nicht eingehalten werden“, mahnt der Bonner Anwalt.

Auch Silvio Reiche hat die IHK frühzeitig kontaktiert. Der geprüfte Immobilienmakler ILS startete 2021 in Meckenheim sein Unternehmen Collective Momentum Silvio ReicheImmobilien. Er nutzte die Gründungsberatung der IHK und lernte dabei, dass ihm die IHK auch in Sachen Datenschutz und Wettbewerbsrecht wertvolle Tipps geben kann. „Ich hatte ein gewisses Bewusstsein dafür, worauf es ankommt“, erinnert sich Reiche, „kannte mich im Detail aber natürlich nicht aus.“ Wissen wollte er zum Beispiel, was er bei der Konzeption der Website rechtlich beachten muss und wie er rechtskonform potenzielle Kunden ansprechen kann. „Simone Lennarz hat mich im Gespräch durch die juristischen Untiefen gelotst und mich auf zahlreiche dabei zu beachtende Aspekte aufmerksam gemacht“, lobt Reiche den IHK-Service.

Von Arbeitsvertrag bis Kündigung: Arbeitsrecht

Auch in Sachen Arbeitsrecht wenden sich vor allem kleinere Mitgliedsunternehmen gerne an die Kammer. Und Unternehmerinnen und Unternehmer in Gründung. Gerade an einem Konzernstandort wie Bonn würden sich Gründungen häufig im Zuge des Outsourcings ergeben, zunächst mit nur einem Kunden und oft noch ohne Angestellte, berichtet Schenk. „Da stellt sich natürlich die Frage, ob man scheinselbstständig ist und wie man dem vorbeugt.“

Wer diese wichtige Hürde genommen hat, muss sich häufig mit der Rentenversicherungspflicht auseinandersetzen. Wer keine Angestellten beschäftigt und auf Dauer über 80 Prozent seines Umsatzes mit nur einem Auftraggeber erzielt, gilt als arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger und ist unter anderem rentenversicherungspflichtig. Befreiungsmöglichkeiten gibt es zum Beispiel auf Antrag für Existenzgründende in den ersten drei Jahren ihrer Tätigkeit. „Die Deutsche Rentenversicherung bietet ein Statusfeststellungsverfahren für die Fragen rund um die Scheinselbstständigkeit an, das sollte man machen, wenn man Zweifel hat“, rät Schenk.

Spätestens, wenn man die Geschäfte nicht mehr allein bewältigen kann, rückt das Arbeitsrecht in den Fokus. Wie schließt man korrekt ein Arbeitsverhältnis ab? Welche Rechte und Pflichten gehen mit einem Werkvertrag, einem Minijob, einer befristeten oder unbefristeten Stelle einher? Was ist bei Teilzeitbeschäftigung zu beachten? Und wie sieht es, wenn es nicht gut läuft, mit einer rechtmäßigen Kündigung aus? „Wer keine eigene Rechtsabteilung hat und kein Risiko eingehen will, wendet sich bei solchen Fragen häufig an die IHK oder schließlich an eine Anwaltskanzlei“, weiß Schenk.

Die IHK bietet zu diesen und vielen anderen Rechtsthemen eine Erstberatung, aber auch umfangreiche Informationen im Internet sowie in Infoveranstaltungen.

Ein Klassiker im Wettbewerbsrecht: Die Abmahnung

Trotz aller Beratung kommen Unternehmen immer wieder in Situationen, in denen sie mit tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsverstößen konfrontiert werden. Ein Klassiker ist die Abmahnung. „Das Wettbewerbsrecht ist so geregelt, dass die Marktteilnehmer ein Problem zunächst untereinander klären“, erläutert Dr. Petra Tiedemann. „Wer sich benachteiligt fühlt, kann das betreffende Unternehmen nach dem UWG, also dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, abmahnen. Eine Behörde ist nicht involviert.“Dr. Petra Tiedemann

Tiedemann ist Rechtsanwältin, Steuerberaterin und Fachberaterin für Unternehmensnachfolge mit eigener Kanzlei in Siegburg. Zudem engagiert sie sich ehrenamtlich als Mitglied im Rechts- und Steuerausschuss der IHK. Die Firmen, die sich bei ihr melden, haben eine Abmahnung erhalten. Sie wollen sich dagegen wehren, wissen aber nicht, wie sie vorgehen müssen.

Typische Abmahnanlässe sind irreführende Preisangaben oder Alleinstellungsbehauptungen. Eine Abmahnung beinhaltet stets zwei Aufforderungen: zum einen das behauptete Fehlverhalten einzustellen und zum anderen darauf künftig zu verzichten. Dazu soll das betreffende Unternehmen eine Unterlassungserklärung unterschreiben.

„Egal ob eine Abmahnung berechtigt ist oder nicht“, erklärt Tiedemann, „man muss reagieren.“ Zunächst prüft sie im Auftrag ihrer Mandanten, ob die Abmahnung statthaft ist. Ist sie es, rät sie dazu, die Unterlassungserklärung zu unterzeichnen und das Verhalten zu ändern. Ist sie es ihrer Überzeugung nach nicht, wird sie aktiv und setzt ein entsprechendes Schreiben an die abmahnende Partei auf. Dann ist diese wieder am Zug: Beharrt sie auf ihrem Standpunkt, muss ein Gericht den Sachverhalt klären.

Doch es geht auch ohne Gericht. Die IHKs in Deutschland unterhalten, so regelt es das Gesetz zum Schutz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), eine Einigungsstelle für die Beilegung von Wettbewerbsstreitigkeiten in der gewerblichen Wirtschaft; so auch die IHK Bonn/Rhein-Sieg. Die Verfahren werden im Falle einer Einigung zwischen den Parteien mit einem Vergleich abgeschlossen.

So legitim eine Abmahnung im Einzelfall auch ist – immer wieder kommt es wie im genannten Beispiel „Google Fonts“ zu Abmahnwellen. Dabei machen sich darauf spezialisierte Kanzleien minimale Fehler auf den Websites von Unternehmen zu Nutze, um die Betroffenen dann systematisch abzumahnen. „Das ist seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs im Dezember 2020 zum Glück stark zurückgegangen“, berichtet Tiedemann. Das Gesetz richtet sich dezidiert gegen Abmahnmissbrauch. Es stellt höhere Anforderungen, um Ansprüche geltend machen zu können, verringert finanzielle Anreize für Abmahnungen und sieht mehr Transparenz sowie vereinfachte Möglichkeiten für Gegenansprüche vor.

Dauerbrenner: Vertragsfallen

Dr. Christina SchenkEin weiterer Dauerbrenner: Vertragsfallen. Eine Variante, die Christina Schenk und ihre Kolleginnen in der IHK-Rechtsabteilung immer wieder beobachten: Firmen, die gerade ins Handelsregister eingetragen wurden, erhalten plötzlich mehrere Anschreiben zum Datenabgleich. Die Adressaten gehen davon aus, dass diese offiziell anmutenden Anschreiben mit der Eintragung ins Handelsregister in Zusammenhang stehen. Sie unterschreiben diese und übersehen, dass sie damit einen neuen Vertrag zur kostenpflichtigen Eintragung in ein Verzeichnis geschlossen haben. „Diese Betrugsmasche kommt leider häufig vor“, sagt Schenk.

Der Fall unseres zu Anfang erwähnten Beispielunternehmens aus dem Rhein-Sieg-Kreis ist etwas komplizierter. Denn der vermeintliche Serviceanbieter pochte darauf, dass am Telefon bereits ein Vertrag zustande gekommen sei.

Tatsächlich müssen Verträge nicht zwangsläufig schriftlich abgeschlossen werden, um gültig zu sein. Aber: „Man muss sich zuvor über alle wesentlichen Bestandteile geeinigt haben“, betont Schenk. Genau das bestreiten die Unternehmerin und ihr Ehemann. Weder sei von den erhöhten Monatsraten die Rede gewesen, sagt Anja Meyer, noch habe der Anbieter seine Dienstleistung wirklich im Detail deutlich gemacht.

Die Masche des Unternehmens: Das Gespräch wird aufgezeichnet, um später einen Beweis zu haben. Allerdings spricht der Mitarbeiter teilweise extrem schnell und undeutlich, außerdem wird immer wieder auf Details verwiesen, über die man angeblich vor der Aufzeichnung bereits Einigkeit erzielt habe.

Googelt man den Namen des Unternehmens, stößt man schon unter den ersten Treffern auf „Vorsicht!“, „Anfechtung“, „Warnung“, „Urteil gegen…“ oder „Achtung Vertragsfalle“.

Noch ist die Sache nicht ausgestanden. Die Meyers wollen jedenfalls nicht zahlen. Sollte auf die erste eine weitere Mahnung folgen, wollen sie die Sache an eine Anwaltskanzlei übergeben und Strafanzeige erstatten. Gelernt haben sie auf jeden Fall. „So etwas wird uns nicht mehr passieren“, sagt Anja Meyer, „wir werden künftig vorsichtiger sein.“

Von Lothar Schmitz, freier Journalist, Bonn

So hilft die IHK
Ohne Recht geht nichts im Leben einer Unternehmerin und eines Unternehmers. Eine sichere Rechtsgrundlage ist Basis für die längerfristige erfolgreiche Geschäftstätigkeit. Hierzu finden Interessierte viele Informations-, Unterstützungs- und Beratungsangebote bei der IHK

Fachkräfte aus dem Ausland

Neue Chancen für Unternehmen in der Region

„Ohne weitere Fachkräfte werden wir wirtschaftspolitisch nicht vorankommen“, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck Ende November 2022, als das Bundeskabinett seine neuen Eckpunkte zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten vorstellte. Das Ziel der Bundesregierung: mehr Menschen aus Ländern außerhalb der EU für eine Arbeit oder Ausbildung in Deutschland zu gewinnen. Auch in Bonn/Rhein-Sieg setzen immer mehr Unternehmen auf Fach- und Nachwuchskräfte aus dem Ausland – und tun viel dafür, um ihnen den Weg zu bereiten. Die IHK unterstützt die Unternehmen bei der Akquise.

Verena Glöckner, Personalentwicklerin der AltoMac GmbH mit Sitz in Sankt Augustin.Der Fachkräftemangel beschäftigt die AltoMac GmbH mit Sitz in Sankt Augustin schon seit längerem. „Das ist demografisch ja keine neue Entwicklung, zudem hat sich die Einstellung vieler junger Leute verändert, was beispielsweise die Gastrono-miebranche sehr deutlich zu spüren bekommt“, erzählt Verena Glöckner, Personalentwicklerin in dem Unternehmen von Hans Otto und Hans Georg Westphal.

Die beiden sind Franchisenehmer von McDonald‘s und betreiben mit rund 800 Beschäftigten, darunter zwei Dutzend Azubis, 18 Restaurants, beispielsweise am Flughafen Köln/Bonn, in Troisdorf und Hennef. Durch die Corona-Pandemie habe sich die Lage verschärft. Doch dann sagt Glöckner etwas Überraschendes: „Ich finde es aber auch gut, dass die Firmen sich nun ein bisschen mehr anstrengen müssen, um gute Leute zu finden und zu binden, wir haben nun mal einen Arbeitnehmermarkt.“

Hans Hahne, Inhaber der J. Hahne Systemgastronomie e.K. Müssten diese Anstrengungen auf den inländischen Markt beschränkt bleiben, wäre Glöckner vielleicht nicht so optimistisch. Laut Deutscher Industrie- und Handelskammer (DIHK) bleiben in Deutschland derzeit zwei Millionen Arbeitsplätze vakant. Dies entspricht nach DIHK-Angaben einem ent-gangenen Wertschöpfungspotenzial von fast 100 Milliarden Euro. Diesen Bedarf können die Unternehmen allein im Inland längst nicht mehr decken. Nach Überzeugung von Andrea Nahles, Vorsitzende des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit, brauche es eine Zuwanderung von 400.000 Arbeitskräften pro Jahr, um die Zahl potenzieller Erwerbstätiger stabil zu halten, berichteten die Medien vor wenigen Wochen.

Diese Erkenntnis hat sich auch bei AltoMac durchgesetzt. „Das Hauptland für unsere Nachwuchsakquise ist derzeit Aserbaidschan“, sagt Personalentwicklerin Glöckner. Für das laufende Ausbildungsjahr hatte das Unternehmen 2022 insgesamt 17 Azubis aus dem Kaukasus-Staat eingestellt, zwölf sind noch da. „Die sind sehr engagiert, es läuft gut“, berichtet Glöckner.

Bis vor wenigen Jahren hätte das Unternehmen Bewerbungen von jungen Menschen aus dem Ausland eher nicht berücksichtigt. „Wegen der meist mangelnden Sprachkenntnisse, weil man sich per Videocall keinen wirklich guten Eindruck verschaffen kann, und weil es hier ein Wohnungsproblem gibt“, zählt Glöckner die Schwierigkeiten auf. 

Die bestehen immer noch – aber AltoMac möchte weiterhin Fachmänner und Fachfrauen für Systemgastronomie ausbilden. Deshalb stelle man sich der Herausforderung. So hat das Unternehmen inzwischen bereits drei Wohnungen angemietet und eingerichtet. „Wir sind ein bisschen ins Immobiliengeschäft eingestiegen“, lacht sie, „nicht ganz freiwillig, aber so ist es jetzt einfach.“ 

Die ausländischen Azubis würden mehr Zeit und Geduld  erfordern. Einerseits. „Andererseits kommt auch viel von ihnen zurück“, berichtet Glöckner, die sich auch ehrenamtlich in einem Prüfungsausschuss sowie im Berufsbildungsausschuss der IHK engagiert, „sie wollen wirklich lernen und sich einbringen, das ist schön zu sehen.“

SIE WOLLEN ARBEITEN UND SIND SEHR ZUVERLÄSSIG

Diesen Eindruck teilt Hans Hahne. Der Inhaber der J. Hahne Systemgastronomie e.K. aus Wesseling und Mitglied der IHK-Vollversammlung setzt ebenfalls verstärkt auf Azubis und Arbeitskräfte aus dem Ausland. In seinem Fall derzeit vor allem aus Albanien, Mazedonien und dem Kosovo. Sein Unternehmen ist ebenfalls McDonald‘s-Franchisenehmer, es zählt 340 Beschäftigte und elf Restaurants, unter anderem in Alfter, Bornheim und Bonn. Seine Erfahrung: „Die Leute, die wir von dort anstellen, kommen oft aus eher ärmlichen Verhältnissen. Sie wollen arbeiten und sind sehr zuverlässig.“

Die sprachlichen Schwierigkeiten nimmt Hahne sportlich. „Viele Handgriffe lassen sich auch wortlos vermitteln, außerdem sprechen die Menschen, die zu uns kommen, oft Englisch oder auch Russisch und können sich damit verständigen.“ 

Und wie ist es mit dem Wohnen? Da haben Hahne und Westphal noch etwas gemeinsam: Auch das Unternehmen von Hans Hahne ist sozusagen ins Immobiliengeschäft eingestiegen. „Wir haben eine ehemaliges Hotel und zwei Wohnungen angemietet und ausgestattet und können dort 20 Leute unterbringen“, erzählt Hahne. Zudem arbeitet er mit zwei Boardinghäusern in Bornheim und Köln zusammen.

Allerdings kann es durchaus dauern, bis die gewünschten Arbeitskräfte im Rheinland ihren ersten Dienst antreten können. Hahne arbeitet in den Herkunftsländern mit offiziellen Vermittlungsagenturen zusammen, bei denen sich die Bewerber – meist sind es Männer – melden.

Sie erfahren alles, was sie für einen mehrjährigen Arbeitsaufenthalt in Deutschland und über das Zielunternehmen wissen müssen. Wer zu Hahne passt – der Unternehmer vertraut hier den Vermittlern, die er persönlich kennt –, erhält ein Vertragsangebot. Damit – und mit allen anderen notwendigen Unterlagen – gehen die Bewerber dann in ein deutsches Konsulat, erhalten ein Visum und können nach Deutschland reisen.

DREI SÄULEN ZUR FACHKRÄFTEEINWANDERUNG

Theoretisch. Praktisch geht es meist nicht ganz so reibungslos. „Es ist nach wie vor nicht einfach, in den Konsulaten rasch einen Termin zu bekommen“, beobachtet Hahne. Dies deckt sich mit der Einschätzung der Arbeitsagentur-Chefin. Anfang Februar kritisierte Andrea Nahles die schleppende Visavergabe: In deutschen Konsulaten gebe es teilweise monatelange Wartezeiten, wurde sie in der „Zeit“ zitiert. Das sei ein erheblicher Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Ländern. Laut „Zeit“ warf Nahles die Frage auf, ob man im Ausland 
„wirklich schon alles prüfen“ müsse oder ob nicht sicherheitsrelevante Fragen genügen würden. „Dann könnten die Arbeitskräfte zunächst einreisen, die restlichen Fragen klärt man hier in Deutschland“. In diese Richtung gehe die geplante „Chancenkarte“. Die „Chancenkarte“ ist Teil der bereits erwähnten „Eckpunkte zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten“. Die Wege, um in Deutschland zu arbeiten, sollen einfacher werden. Für diejenigen, die schon in Deutschland leben, Geflüchtete beispielsweise, und diejenigen, die neu kommen. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung wird die Erwerbseinwanderung künftig auf drei Säulen beruhen. (Quelle: www.bundesregierung.de)

Inge Brendler, Inhaberin, Gründerin und CEO, HereLocation, BonnInge Brendler weiß ebenfalls um die Fallstricke bei der Arbeitskraft-Akquise im Ausland. „Viele Firmen unterschätzen den Faktor Zeit“, weiß die Bonnerin, die mit HereLocation in der Bundesstadt Relocation-Dienstleistungen anbietet, Unternehmen also dabei hilft, Fach- und Führungskräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu holen.

„Es kommt schon mal vor, dass die künftige Fachkraft schon fest eingeplant wird, aber so schnell nicht einreisen kann, weil es mit dem Termin im örtlichen Konsulat dauert oder doch noch ein Dokument oder eine Bestätigung fehlt“, berichtet Brendler.

Sie und ihr Team unterstützen die neuen Arbeitskräfte im Auftrag des deutschen Arbeitgebers bei allen Schritten eines internationalen Umzugs, von der formalen Anerkennung des ausländischen Berufsabschlusses über die Beantragung eines Einreisevisums, die Beschaffung von Aufenthaltstitel und Arbeitserlaubnis bis zum Familiennachzug.

Und besonders wichtig: auch bei der Wohnungssuche. Ein offizieller, zumindest temporärer Wohnsitz ist die Voraussetzung, um sich anmelden, ein Bankkonto eröffnen, Gehalt beziehen und sich krankenversichern zu können.

Was den Zeitfaktor betrifft, können die Unternehmen auf Besserung hoffen. Das Auswärtige Amt wolle die Visaverfahren zur Fachkräftegewinnung deutlich beschleunigen, berichteten mehrere Medien Mitte Januar. Das gehe aus einem internen Arbeitspapier des Ministeriums hervor. Den Berichten zufolge sollen Visaanträge schon bald vier Mal so schnell genehmigt werden wie bisher.

AUSLÄNDISCHE FACHKRÄFTE, DIE BEREITS IN DEUTSCHLAND SIND

Interessante Fach- und Nachwuchskräfte lassen sich nicht nur im Ausland gewinnen. Viele sind bereits hier. Sei es, weil sie nach Deutschland geflüchtet sind, sei es aus anderen Gründen.
Davon profitierte beispielsweise Ralf Wolanski, aber erst nach erheblichen Anstrengungen. Sein Unternehmen, der Bonner Versanddienstleister Wolanski GmbH, braucht Fachkräfte und kann derzeit nicht alle offenen Stellen besetzen.

Als Fan und Sponsor der Bonn Capitals lernte Ralf Wolanski Wilson Lee kennen. Der 31-jährige Australier spielt seit 2015 für den Baseball-Bundesligisten. Jeden Winter ist allerdings Saisonpause – und die Spieler müssen sich etwas dazuverdienen, denn die Gehälter im Baseball sind weit entfernt von denjenigen etwa in der Fußball-Bundesliga. „Umgekehrt brauchen wir gerade im Winter mehr Leute“, erzählt Wolanski, „eine echte ‚Win-win-Situation‘ also.“ Eigentlich.

Ralf Wolanski, Geschäftsführer Versanddienstleister Wolanski GmbH (rechts), Wilson Lee (Mitte), MitarbeiterBis zum Arbeitsvertrag dauerte es trotzdem noch einige Zeit. Denn dass ein Unternehmen und eine Arbeitskraft miteinander wollen, reicht nicht in Deutschland. Aufs „Dürfen“ kommt es an. Wilson durfte zunächst nicht. Bei der Beschäftigung einer Person aus dem Ausland ist nämlich eine Arbeitserlaubnis durch die Agentur für Arbeit erforderlich.

Eine Voraussetzung für deren Erteilung: dass es für eine zu besetzende Stelle keine „bevorrechtigten Bewerber“ gibt, sprich: Menschen mit deutschem Pass. Wilson hat eine Arbeitserlaubnis für die Bonn Capitals. Für die Stelle bei Wolanski bekam er zunächst keine – aus dem genannten Grund.

Daraufhin beschwerte sich Wolanski beim Ausländeramt und der Agentur für Arbeit und machte deutlich, dass er seinen akuten Fachkräftebedarf nicht decken könne und er mit Wilson Lee jemanden gefunden hätte, „der langjährig in Deutschland lebt und über den Sport auch seinen Lebensmittelpunkt in unserer Stadt Bonn gefunden hat bzw. finden möchte. Zudem ist er integrations- und arbeitswillig.“ 

Am Ende ging die Sache gut aus, weil Wolanski hartnäckig blieb und mit Unterstützung des Ausländeramtes der Stadt Bonn einen geänderten Antrag auf Arbeitserlaubnis bei der Agentur für Arbeit stellte (der Schriftwechsel liegt der Redaktion vor). Dem wurde schließlich entsprochen. 

Den geben wir nicht wieder her

Auch Anja Kappes kann zu diesem Thema eine Geschichte beisteuern. Zusammen mit ihrem Mann Christoph führt sie die Geschäfte der C.K. Die Erlebnisgastronomie GmbH aus Lohmar. Das Unternehmen zählt 20 Beschäftigte, davon vier Azubis. „Der Fachkräftemangel ist für uns kein neues Thema, es ist einfach schwierig, gute ausgebildete Leute und Azubis zu finden“, stellt Kappes gleich zu Beginn klar.

Im Ausland akquiriert hat sie trotzdem noch nicht, bisher waren ihr die Hürden zu hoch, unter anderem das Wohnungsproblem hier in der Region. Dennoch beschäftigt das Unternehmen einen Mann aus Ghana, Samuel M., der 2003 aus politischen und sozialen Gründen aus seiner Heimat floh und seit 2015 in Deutschland lebt. „Samuel ist ein großartiger, lieber Mensch, und so zuverlässig und fleißig“, schwärmt seine Chefin, „den geben wir nicht wieder her.“

Den letzten Satz sagt Anja Kappes sehr vehement. Samuel M. hat nämlich nur eine Duldung. Er könnte also jederzeit abgeschoben werden, wobei die Abschiebung für die Dauer seiner Ausbildung ausgesetzt ist. „Ausbildung statt Abschiebung“ ist nicht nur der Name eines sehr engagierten Vereins in Bonn, der sich für junge Geflüchtete in der Region mit unsicherem Aufenthaltsstatus einsetzt. Sondern fasst in drei Worten zusammen, wie Firmen Verantwortung übernehmen und zugleich Arbeitskräfte gewinnen können. „Wir sichern damit unseren Fachkräftebedarf und bieten Samuel zugleich mehr Sicherheit und Perspektive“, betont Kappes.

Sie und ihr Mann seien dankbar, dass sich die gesetzliche Lage in dieser Hinsicht derzeit entspanne. „Nach der Abschlussprüfung als Fachkraft im Gastgewerbe im Sommer bieten wir Samuel eine Festanstellung“, erzählt Christoph Kappes. „Dank neuer Bestimmungen kann er in diesem Zuge ein Bleiberecht beantragen.“

Anja KappesDie Unternehmerin bezieht sich auf das neue Chancen-Aufenthaltsrecht nach Paragraf 104c des Aufenthaltsgesetzes. Personen, die sich am 31. Oktober 2022 seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen in Duldung aufgehalten haben, können eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Das soll den Betroffenen rechtliche Sicherheit geben, um die Voraussetzungen für einen längerfristigen Aufenthaltstitel bei nachhaltiger Integration zu erfüllen. Dazu zählen unter anderem die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts und der Nachweis deutscher Sprachkenntnisse.

„Wir unterstützen Samuel und tun alles dafür, dass es klappt“, betont Kappes. „Dann dürfte er auch endlich die Gruppenunterkunft verlassen, in eine eigene Wohnung ziehen, was während der Duldung nicht möglich ist; das würde ihm einen täglichen Arbeitsweg von drei Stunden ersparen.“ Bei der Wohnungssuche und der weiteren Integration werde sie selbstverständlich helfen.

Das Engagement kostet Kappes und ihre übrigen Beschäftigten viel Zeit und Energie. Sie üben mit ihm für die Schule, helfen ihm beim Deutschlernen, begleiten ihn zu Terminen, nehmen sich Zeit für Gespräche. „Das ist sehr aufwendig“, gibt Kappes zu. „Aber letztlich ist es doch ganz einfach: Es ist menschlich wichtig, dass er hier bleiben darf. Und wir brauchen ihn als Arbeitskraft.“


Lothar Schmitz, freier Journalist, Bonn