KI: Gekommen, um zu bleiben

Künstliche Intelligenz

KI ist gekommen, um zu bleibenEnde 2022 erblickte ChatGPT von Open AI das Licht der Welt. Seitdem wird viel über Künstliche Intelligenz (KI) geredet – auch in der Wirtschaft nimmt das Thema an Fahrt auf. Wir sprachen mit Unternehmern und Wissenschaftlern sowie der Leiterin des Deutschen Museums Bonn über KI und wie sie in unserer Region zum Geschäftsmodell wird.

Seit einigen Jahren wird in Deutschland über Künstliche Intelligenz (KI) diskutiert. So richtig Fahrt aufgenommen hat das Thema dann vor über einem Jahr. Im November 2022 veröffentlichte das Unternehmen OpenAI die Software ChatGPT. „Da wurden uns allen mit einem Mal die Augen geöffnet für das, was sprachgesteuerte KI inzwischen alles kann und was damit alles möglich ist“, sagt Dr. Stefan Barth. Er ist Chief Operating Officer der Qvest Digital AG in Bonn und engagiert sich ehrenamtlich in der Vollversammlung und im ITK-Ausschuss der IHK Bonn/Rhein-Sieg. 

Heiko Oberlies stimmt zu. Der Referent für die Informations- und Telekommunikationsbranche der IHK Bonn/Rhein-Sieg ist ein aufmerksamer Beobachter aller Entwicklungen rund um die Digitalisierung. „Das Thema KI brodelt schon länger, es gab immer mal Eruptionen, doch nun ist der Vulkan ausgebrochen.“ Die KI sei gekommen, um zu bleiben.

Die „WirtschaftsWoche“ schrieb im November 2023, dass der Sprachbot ChatGPT „das weltweite Wettrennen um künstliche Intelligenz in einem Turbo-Modus versetzt“ habe. Nur fünf Tage nach Vorstellung des Programms durch OpenAI hätten sich dem Bericht zufolge bereits eine Million Nutzer bei ChatGPT angemeldet. Was war da geschehen? „Bis dahin ging es bei KI vor allem darum, Algorithmen zu entwickeln und zu verbessern und beim Training von IT-Systemen auf sehr spezifische Fachanwendungen abzuheben“, weiß Barth. Mit der Entwicklung von Sprach-KI-Lösungen wie ChatGPT änderte sich dieser Ansatz.

Dr. Stefan Barth, Chief Operating Officer der Qvest Digital AG „Nun kann man KI quasi mit allen Informationen füttern, die es gibt“, so Barth, „mit dem kompletten Internet, wenn Sie so wollen.“ Man speist das Programm also mit Daten, anschließend werden die Handlungsanweisungen bzw. der Algorithmus optimiert. ChatGPT und andere Sprachsysteme lassen sich so ganzheitlich und kontextunabhängig einsetzen.

Scheinbar unbegrenzte Einsatzfähigkeit

Diese scheinbar unbegrenzte Einsatzfähigkeit sorgt für eine beträchtliche Dynamik. Damit ist KI attraktiver geworden. Ging es bisher vor allem um Vorhersagen, wie beispielsweise einen fälligen Wartungszeitpunkt oder ob Hautauffälligkeiten bösartig sein könnten, kann die KI jetzt auch Texte, Bilder und Musik erzeugen. Wie das geht, lässt sich im Deutschen Museum in Bonn bestaunen.

"Mission KI" macht Künstliche Intelligenz erfahrbar (Foto: Deutsches Museum Bonn)In der Ausstellung „Mission KI“ kann man an einer sogenannten Mitmachstation dem Computer beispiels-weise den Auftrag geben, ein Bild zu malen. Dafür braucht man nur ein Thema vorzugeben, etwa „Winterstimmung“, und den Stil, zum Beispiel „Picasso“. Zwanzig bis dreißig Sekunden später sieht man auf dem Bildschirm einen täuschend „echten“ Picasso – den es so aber auf der Welt nicht gibt.

Das Deutsche Museum in Bonn wird zurzeit, gefördert mit Mitteln des NRW-Wirtschaftsministeriums, zum zentralen Forum für Künstliche Intelligenz in NRW weiterentwickelt. Mitte Dezember zeigte sich hier, wie groß der Informations- und Diskussionsbedarf der Unternehmen in Sachen KI ist: Die IHK und die Wirtschaftsförderung der Stadt Bonn hatten zum 15. Bonner Netzwerkabend ins Museum geladen. Thema:„Gamechanger KI – Herausforderungen und Potenzial für Gesellschaft und Wirtschaft“. Zweihundert Gäste waren der Einladung gefolgt.

KI im Gesundheitswesen

Doch KI gibt es nicht nur im Museum der Beethovenstadt zu erleben. Viele Unternehmen in der Region entwickeln für ihre Kundschaft bereits Anwendungen auf KI-Basis. Zum Beispiel die Dedalus HealthCare GmbH mit Sitz am Bonner Bogen. Für die Künstliche Intelligenz ist dort unter anderem Ralph Szymanowsky zuständig, er verantwortet den Bereich Business Development BI & Analytics. Während des Netzwerkabends von IHK und Wirtschaftsförderung saß er auf dem Diskussionspodium.

Ralph Szymanowsky, DH Healthcare GmbH, BonnDedalus ist Hersteller des Krankenhaus-Informationssystems „ORBIS“, das nach Firmenangaben in rund 850 der ungefähr 1.800 Krankenhäuser, die es in Deutschland gibt, zum Einsatz kommt. Seit gut fünf Jahren befasst sich das Unternehmen mit KI. Seit drei Jahren gibt es ein Produkt auf KI-Basis: „clinalytix“.

Szymanowsky verdeutlicht an einem Beispiel, wie das von Dedalus entwickelte Programm arbeitet: Bestehe etwa bei einer Patientin nach einer OP der Verdacht auf akutes Nierenversagen, sei dies erst am vierten oder fünften Tag nach der OP durch einen erhöhten Kreatinin-Wert nachweisbar. Dann sei die Niere jedoch bereits geschädigt.

Hier arbeite die KI-Lösung deutlich schneller: Sie gleicht die diagnostischen Daten der Patientin mit jenen Werten ab, die für ein akutes Nierenversagen charakteristisch sind. Darauf ist das Programm durch die Eingabe entsprechender Daten trainiert worden – Stichwort „Machine learning“. Nun kann die KI Mus-ter zuordnen und eine faktenbasierte Vorhersage treffen.

„Derzeit steigt die Nachfrage aus den Krankenhäusern nach unserem KI-Modell, 2024 wird es in zahlreichen Kliniken im Einsatz sein“, blickt Szymanowsky voraus. Schon jetzt könne man drei Arten von akuten Leiden frühzeitig identifizieren. Neben akutem Nierenversagen sind das Sepsis und Delir. Dedalus arbeitet bereits an weiteren Anwendungsfällen, etwa für Pneumonie und venöse Thromboembolie.

Medizin ist ein KI-Anwendungsfeld, auf dem auch das Bonner Unternehmen Petanux GmbH unterwegs ist. Gemeinsam mit den Unikliniken Bonn und Düsseldorf hat die Firma eine Smartphone-App entwickelt, die frühzeitig Hautkrebs erkennen kann.

Stellt die integrierte KI beim Hautscan mit Handy Auffälligkeiten fest, rät sie zu einem Arztbesuch. Im nächsten Entwicklungsschritt soll über die App sogar ein Tele-Termin mit einer Dermatologin oder einem Dermatologen möglich sein. Auf der Hannover-Messe 2024 will Petanux die App vorstellen.

Hilfe für Blinde – und effizientere Bewässerung

Pentanux-Gründer Prof. Dr. Mahdi Bohlouli kann sich jedoch noch zahlreiche andere Anwendungsbereiche jenseits der Medizin vorstellen. So wird der Informatiker in Hannover auch eine smarte Brille vorstellen, die mit Kamera, KI sowie Sprach- und Navigationssystem ausgestattet ist. „Das könnte etwa blinden Menschen den Einkauf im Supermarkt erleichtern“, ist Bohlouli überzeugt.

Professor Dr. Mahdi Bohlouli, Gründer der Petanux GmbH, BonnAuch die Bewässerung von Parks und Gärten lässt sich mithilfe der KI effizienter gestalten. Dafür haben Bohlouli und sein Team ein unterirdisches Bewässerungssystem mit passendem KI-Modell entwickelt. Die artifizielle Intelligenz wird dafür mit allen relevanten Informationen, zum Beispiel aktuellen Wetterdaten oder den Wasserbedarfen der verschiedenen Pflanzenarten, gefüttert. Das könnte nach Bohloulis Einschätzung bis zu 86 Prozent der eingesetzten Wassermengen entbehrlich machen. Zudem hat Petanux ein eigenes Sprachmodell entwickelt, PetaGPT.

Doch wie steht es um die Nutzung von KI in Unternehmen? Vor kurzem veröffentlichte das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn die Ergebnisse einer Befragung von Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe. Lediglich 8,9 Prozent der befragten Betriebe nutzen Anwendungen und Verfahren der KI.

Handelt es sich um sogenannte Hidden Champions, steigt die Quote immerhin auf 18,8 Prozent. Anders gesagt: Fast 90 Prozent der Befragten nutzen bisher keine künstliche Intelligenz. Immerhin: Die Wahrscheinlichkeit der Nutzung steigt laut der IfM-Umfrage, wenn es in den Unternehmen eine Digitalisierungsstrategie gibt, die Abteilungen miteinander vernetzt sind und eigene IT-Fachleute beschäftigt werden.

Unterstützung auf dem Weg zur KI-Nutzung

Unterstützung auf dem Weg zur KI-Nutzung erhalten kleine und mittlere Unternehmen unter anderem beim Mittelstand-Digital-Zentrum „Fokus Mensch“, einer vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Digitalisierungsinitiative mit mehreren Standorten in Deutschland, zu denen auch die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Sankt Augustin gehört.

Dr. Daryoush Daniel Vaziri, Mitgründer VAGO solutions GbR, HennefFür das Thema „Digitale Souveränität“ ist Dr. Daryoush Daniel Vaziri zuständig, der an der Hochschule mit einer Forschungsgruppe „menschzentrierte KI-basierte Systeme und Geschäftsmodelle“ entwickelt. Im Angebot für interessierte Unternehmen: Vorträge, Workshops, kleine Praxisprojekte. „Ganz niederschwellig, zum Annähern und Ausprobieren“, wirbt er.

Zudem ist Vaziri Mitgründer der VAGO solutions in Hennef. In diesem Unternehmen entwickeln er und sein Geschäftspartner David Golchinfar deutschsprachige KI-Sprachmodelle für den Mittelstand. „Wie ChatGPT, aber auf die Bedarfe des Mittelstands zugeschnitten und individuell skalierbar“, erläutert Vaziri. Ein beispielhaftes Anwendungsgebiet: Dokumenten- und Wissensmanagement. „Viele Firmen ertrinken in einer Flut von Dokumenten und Dateien, von denen viele notwendige Informationen enthalten, aber verteilt und unüberschaubar“, berichtet Vaziri. Mithilfe des KI-Modells von VAGO können Betriebe ihre Dokumente interaktiv durchsuchen.

„Suche mir zu allen Lieferanten die vereinbarten Service Level Agreements und fasse mir die wichtigsten getroffenen Vereinbarungen zusammen“ – so könnte ein Suchauftrag lauten. Anders als bei der klassischen Suche müssen Nutzerinnen und Nutzer die genauen Suchbegriffe nicht kennen. Die KI ist auf menschliche Sprache trainiert und erkennt neben Wortbildung und Satzbau auch die inhaltliche Bedeutung der Suchanfrage.

Effizienzgewinne von 30 bis 40 Prozent

Laut Vaziri lassen sich solche KI-Modelle auch auf andere Be-reiche anwenden. Der Einsatz von KI kann zu messbaren Effizienzgewinnen führen. Dreißig bis vierzig Prozent seien laut Studien möglich. „Es ist beeindruckend, was mit Sprachmodellen möglich ist“, konstatiert er, „das hat disruptiven Charakter und das Potenzial, vieles zu verändern.“ Zuletzt habe es mit dem Einzug des Internets in die Unternehmen derartige Entwicklungssprünge gegeben.

Auch das Lernen verändert sich durch KI: „Learnboost“ heißt eine neue KI-gestützte App – und das entwickelnde Unternehmen mit Sitz im Digital Hub in Bonn –, die Studierenden aller Fächer das Lernen und die Klausurvorbereitung erleichtern soll. Sie können damit die Vorlesungsskripte ihrer Lehrkräfte, eigene Mitschriften, Dokumente und andere Unterlagen einlesen und sich dann beispielsweise eine Zusammenfassung unter bestimmten Gesichtspunkten erstellen lassen.

Learnboost-Gründer Lukas Mauth und Leon Oxenfart mit KI-Advisor Jakob Vanhoefer (v.l.)„Sie müssen die relevanten Informationen nicht mühsam in Dutzenden von Dokumenten suchen, sondern können viel schneller und gezielter das lernen, was sie wirklich brauchen“, wirbt Leon Oxenfart, der das Start-up gemeinsam mit Lukas Mauth gegründet hat. Mit der App lassen sich aus Studienunterlagen gezielt bestimmte Aspekte auslesen und demnächst auch Lernkarten erstellen.

Die App haben Oxenfart und sein Team selbst entwickelt, bei der KI setzt Learnboost auf vorhandene Sprachmodelle. Initialzündung für die Gründung war die Veröffentlichung von ChatGPT vor über 15 Monaten. „Wir waren begeistert, was nun alles geht, und haben nach einem Anwendungsszenario gesucht“, erzählt Oxenfart.

Mit KI Mitarbeiterbefragungen verbessern

Ebenfalls im Digital Hub sitzt die Impulse AI UG. Das Start-up möchte, deshalb der Firmenname, mit KI neue Impulse setzen, und zwar im Personalwesen von mittleren und größeren Unternehmen. Konkret: „Wir wollen Mitarbeiterbefragungen besser machen“, sagt Robert Tomoski, einer der vier Gründer. Die seien sehr wichtig, würden oft aber „stiefmütterlich“ behandelt. Impulse AI macht daraus ein interaktives Erlebnis, samt Mini-Games, Videos, Quizfragen und anderen Elementen. Und setzt KI für die Fragenauswahl ein.

Robert Tomoski, Mitgründer der Impulse AI UGHeraus kommt sogenanntes tailored testing. Das heißt: Alle Beschäftigten werden zwar zu den gleichen Themen und anhand des gleichen Fragenpools befragt. Trotzdem erhält nicht jeder dieselben Fragen. „Jeder bekommt so wenig Fragen wie möglich, Redundanzen werden vermieden“, erklärt Tomoski, der einen Master in Psychologie hat.

Das zugrundeliegende KI-Modell filtert beispielsweise bestimmte Fragen aus, wenn sich die befragte Person dazu bereits geäußert hat. Oder ordnet ihr solche Fragen zu, die zu ihrer Funktion im Unternehmen passen. „Studien zeigen, dass Umfragen schnell nerven. Vor allem, wenn sie zu lang sind, Fragen sich wiederholen oder viel zu unspezifisch erscheinen“, weiß Tomoski, „das verhindert unser Modell.“

Einige große Kunden wie die Telekom, Hochschulen und die Fraunhofer-Gesellschaft konnte das Start-up bereits gewinnen. 2024 könnte der Umsatz nach fünf Jahren endlich die magische Schwelle von einer Million überschreiten.

KI-Lösungen stoßen bei vielen Unternehmen in der Region auf Interesse. „Der Wille zum Einsatz der KI wächst, die Anfragen nehmen zu und werden gezielter“, beobachtet Stefan Barth. Er stellt allerdings auch fest, dass vor allem kleinere Unternehmen häufig zuerst an anderer Stelle digitalisieren müssen, ehe der Einsatz von KI-Anwendungen sinnvoll ist. „Wir treffen häufig auf veraltete IT-Landschaften“, berichtet das IHK-Vollversammlungsmitglied, „das muss natürlich zuerst angepackt und modernisiert werden.“ So schaffe man bereits Effizienzgewinne ganz ohne KI.

Und wenn dann noch sinnvolle KI-Lösungen hinzukommen…

Lothar Schmitz, freier Journalist, Bonn