Gespür, Sachverstand – und viel Zeit

Unternehmensnachfolge

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Im Jahr 2024 stehen nach Schätzungen des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn bundesweit 38.000 Unternehmen zur Übergabe an. In NRW sind es allein fast 8.000. Doch wie gelingt die Übergabe des Staffelstabs an die nächste Familiengeneration, an Mitarbeitende im Betrieb oder an eine*n externe Nachfolgerin bzw. Nachfolger? Wir zeigen an drei Beispielen aus Bonn, Königswinter undSankt Augustin, worauf es ankommt.

© Norbert IttermannAlles Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde, lautet ein geläufiges Sprichwort. Für Katja van Leeuwen und ihre Kunden trifft dies auf jeden Fall zu. Die gebürtige Niederländerin reitet nämlich nicht nur leidenschaftlich gern, sondern bietet seit vielen Jahren Reitferien an. Schwerpunkte sind Irland und Skandinavien sowie Deutschland und die Niederlande.

 

Ihre Schwester betreibt einen Reiterhof in Irland; so kam die Unternehmerin aus Königswinter irgendwann auf die Idee, hier in Deutschland Werbung für den Hof zu machen und dort Reitferien zu vermitteln. Das weitete sie systematisch aus. Heute arbeitet sie europaweit mit rund 70 Partnern zusammen und bietet nicht nur Reitferien, sondern auch Sprachreisen, Working-Holidays, Urlaub im Pferdewagen oder Wandern mit Esel. Ihr Konzept: Sie prüft sämtliche Angebote sehr genau und kennt alle Partner persönlich, sodass sie Reitinteressierte gezielt beraten und ein Ferienpaket anbieten kann, das ganz genau auf deren Anforderungen und Vorlieben zugeschnitten ist. Zu den Kunden – darunter sehr viele Stammkunden – zählen Familien, alleinreisende Jugendliche und Erwachsene sowie Gruppen. Ihre Spezialreisevermittlung hat sich auch deshalb im Laufe der Jahre einen Namen gemacht, weil es „schwierig ist, solche spezialisierten Reitangebote über ein herkömmliches Reisebüro zu finden“, wie van Leeuwen erzählt. „Meine persönlichen Kontakte und die Beratungstiefe zahlen sich aus.“

Van Leeuwen vermittelt seit 30 Jahren Reitferien. Nächstes Jahr wird sie 64 Jahre alt und würde die unternehmerische Verantwortung dann gerne in jüngere Hände geben – auch um wieder mehr Zeit für sich zu haben. Sie fühlt sich ihren vielen Stammkunden verpflichtet, aber auch den Reiterhöfen, mit denen sie oft eine jahrzehntelange Zusammenarbeit verbindet. Gerade weil sie eine Nische besetzt, möchte sie, dass ihr Reiseunternehmen fortbesteht.

Frühzeitig beginnen - Beratung nutzen

Allerdings gehört eine erfolgreiche Unternehmensübergabe zu den Königsdisziplinen im Wirken als Unternehmer und Unternehmerin. Meist haben sie ihre Unternehmen über viele Jahre auf- und ausgebaut, Produkte und Dienstleistungen entwickelt und auf dem Markt etabliert, sie übernehmen als Arbeitgebende und Geschäftspartner Verantwortung. Das Unternehmen ist nicht selten Lebenswerk. Das geben die wenigsten leichtherzig auf. Im Gegenteil: Mit der gleichen Ernsthaftigkeit, die sie einst beim Gründen an den Tag gelegt haben, streben viele Unternehmerinnen und Unternehmer auch eine geregelte Nachfolge an, damit das Geschaffene fortbesteht.

Der Prozess ist äußerst komplex und nicht selten langwierig, erfordert viel Gespür und Sachverstand – und scheitert in nicht wenigen Fällen. Auch deshalb empfehlen Experten wie Michael Pieck, Bereichsleiter Unternehmensförderung der IHK Bonn/Rhein-Sieg, den Unternehmen, sich frühzeitig mit der Nachfolge zu befassen und alle relevanten Informationsund Beratungsangebote, etwa der IHK, zu nutzen.

Auch Ute A. Horstkamp, Geschäftsführerin der EAB Unternehmenstherapie in Königswinter, findet es wichtig, sich frühzeitig zu informieren. Aus ihrer Sicht ist Unternehmensnachfolge „ein sehr präsentes Tabu-Thema“.

Im Gespräch mit „Die Wirtschaft“ (siehe „Nachgefragt“, Seite 61) sagt sie: „Heute gehören wir mit 70 noch nicht zum alten Eisen und entsprechend schwer fällt vielen Unternehmern das Thema Nachfolge. Was kommt danach? Bei einer erfolgreichen Nachfolge greifen viele kleine Zahnräder ineinander, über die man sich keine Gedanken macht.“

Van Leeuwen machte sich Gedanken. Vor knapp zwei Jahren entschied sie, eine Mitarbeiterin mit dem Ziel anzustellen, sie zu ihrer Nachfolgerin zu machen. „Das Bewerbungsverfahren war intensiv“, erzählt sie, „denn ich wollte ja nicht irgendwen finden, sondern jemanden, der meine Nachfolge antreten könnte und das auch ernsthaft wollte.“ Kurzum: Es sollte passen.

Das tat es zunächst auch: Die 29-Jährige, für die sie sich entschieden hatte, brachte viel Interesse und Können mit. „2024 wollte ich ihr die Verantwortung für einen Teil unserer Reisen übertragen, ein oder zwei Jahre später dann das komplette Geschäft“, berichtet die Unternehmerin. Samt Website und Angebotsbeschreibungen, Markenrechten und Kundendatenbank, Verträgen mit den Leistungspartnern und Kontakten. Und jede Menge Wissen. Bis dahin sollte die Mitarbeiterin alle Geschäftsprozesse und wichtige Geschäftspartner kennenlernen und sich in alles hineinfinden.

„Ein sehr zielgerichtetes Vorgehen und zudem frühzeitig eingeleitet“, kommentiert Michael Pieck. Das sei sehr wichtig, denn viele Unternehmen würden viel zu spät mit der Nachfolgesuche beginnen.

Das kann zu Problemen führen, denn die Unternehmensnachfolge ist ein herausfordernder Prozess für beide Seiten. Ganz unabhängig davon, ob nun an Externe oder familienintern bzw. an Mitarbeitende im eigenen Unternehmen übergeben wird - was laut DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge 2022 gut die Hälfte der von IHKs beratenen Alteigentümerinnen und -eigentümer vorhaben.

Von der ersten Übergabe-Idee bis zur Schlüsselübergabe, gilt es eine ganze Reihe von Hürden zu nehmen. Ein idealtypischer Verlauf einer Übergabe könnte so aussehen:

Ein idealtypischer Verlauf. In der Praxis können jedoch auch davon abweichende Wege zum Ziel führen. „Wer das Risiko einer scheiternden Übergabe allerdings deutlich reduzieren möchte, ist gut beraten, früh zu beginnen“, betont Pieck.

Systematische Nachfolge: Vom Opa zum Vater zum Sohn

Peter Kuhne hat das getan. An einem Nachmittag im Jahr 2010 versammelten der alleinige Gesellschafter der KUHNE Group in Sankt Augustin und seine Frau ihre drei Kinder sowie den Steuerberater des Unternehmens an einem Tisch. Gesprächsthema: das künftige Erbe und die Nachfolge in der Unternehmensführung des mittelständischen Maschinenund Anlagenbauers mit heute 250 Beschäftigten. Die 1986 geborene Tochter absolvierte gerade eine Ausbildung zur Mechatronikerin und hatte andere Zukunftspläne als Unternehmerin zu werden. Ihr ein Jahr jüngerer Bruder studierte Medizin und wollte am Berufsziel Arzt festhalten.

© Lothar SchmitzDas „Nesthäkchen“ der Familie, der damals zwanzigjährige Felix, hatte sich dagegen frühzeitig für das elterliche Unternehmen interessiert und nach dem Abi eine Ausbildung zum Elektroniker für Betriebstechnik gemacht. Bei dem Familientreffen stand bald fest: Felix Kuhne wollte und sollte eines Tages das Unternehmen weiterführen. „Wir alle waren uns schnell einig“, erzählt Peter Kuhne, „nach 45 Minuten war alles Grundsätzliche geklärt.“ Die Tochter und der ältere Sohn würden eines Tages einen angemessenen Geldbetrag erben, der jüngere Sohn würde die Anteile am Unternehmen bekommen.

Das war 2010. Heute, 13 Jahre später, steht Felix Kuhne an der Schwelle zum eigenen Unternehmertum. Er studierte zwischenzeitlich Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und arbeitete währenddessen bereits als Werkstudent im väterlichen Betrieb. 2021 stieg er in Vollzeit ein, nachdem er zuvor ein paar Jahre Berufserfahrung bei einem Maschinenhandelsunternehmen in Hamburg gesammelt hatte. 2024 soll er erstmals Prokura erhalten. Gleichzeitig wird Peter Kuhne 45 Prozent der Anteile an seinen Sohn übertragen. Schon jetzt trägt er Verantwortung für zwei Bereiche, Vertrieb und Business Development. Zudem nimmt er an den monatlichen Besprechungen mit den drei angestellten Geschäftsführern und seinem Vater teil, der noch alle Anteile besitzt und im Unternehmen beratend sowie im Controlling aktiv ist.

© Lothar SchmitzDass die Kuhnes die Nachfolge so früh angegangen sind, hat quasi Tradition. Schon der 1919 geborene Walter Kuhne hatte Sohn Peter zeitig in die Unternehmensführung eingebunden. Er hatte das Unternehmen 1974 im Rahmen eines sogenannten Management-Buy-Outs übernommen. „Aber erst, nachdem er mit mir seine eigene Nachfolge besprochen hatte“, erinnert sich Peter Kuhne. „Es hat mich damals sehr beeindruckt, wie klug und vorausschauend mein Vater vorging.“

Auch Peter Kuhne war während seines Maschinenbaustudiums im elterlichen Betrieb aktiv, 1983 machte ihn der Vater zum zweiten Geschäftsführer. Zwei Jahre später stieg der Vater aus und übertrug seinem Sohn weitere Anteile, nachdem er ihm bereits elf Jahre zuvor 45 Prozent der Anteile übertragen hatte.

„Ich kann nur jeder Unternehmerin und jedem Unternehmer empfehlen, sich so früh wie möglich mit der Nachfolge zu befassen“, betont Peter Kuhne, der dieses Jahr 70 wurde. „Je eher man beginnt, desto mehr kann man den Prozess mitgestalten.“

Laut DIHK-Nachfolgereport 2022 geht der Wunsch vieler Inhaberinnen und Inhaber, den Betrieb innerhalb der Familie oder an Mitarbeitende zu übergeben, oft nicht in Erfüllung. Insbesondere innerhalb der Familie gäbe es weniger nachfolgebereite Nachkommen als noch vor einigen Jahren. Deshalb plane nahezu die Hälfte der von den IHKs Beratenen, das eigene Unternehmen zu verkaufen.

Als externer Nachfolger zum eigenen Unternehmen kommen

André Kallus gehört zu diesen externen Nachfolgern. Der 39-jährige Industriemechaniker und Maschinenbau-Ingenieur war zuletzt Abteilungsleiter bei einem Bonner Automobilzulieferer. Als sich abzeichnete, dass sein Arbeitgeber den Standort in Bad Godesberg schließen würde, besuchte er eine Infoveranstaltung der IHK Bonn/Rhein-Sieg zum Gründen und Nachfolgen. „Ich war erstaunt, in wie vielen Fällen die Nachfolge von Unternehmen ungeklärt ist“, erzählt der zweifache Familienvater, der zuvor zwar über Gründung, aber nicht über die Möglichkeit einer Unternehmensnachfolge nachgedacht hatte.

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Die IHK-Berater machten Kallus auf die Unternehmensbörse „nexxt-change“ aufmerksam, die als größte ihrer Art in Deutschland gilt. Die Internetplattform ist ein gemeinsames Angebot des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, der KfW Bankengruppe, der DIHK, des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands. Die Industrie- und Handelskammern, auch die IHK Bonn/Rhein-Sieg, sind Regionalpartner. Ziel von „nexxt-change“ ist, nachfolgeinteressierte Unternehmerinnen und Unternehmer mit Existenzgründenden zusammenzubringen.

Hier stieß Kallus auf das Unternehmen HG-Alu in Bonn. Er schrieb den Eigentümer an und vereinbarte ein erstes Treffen. „Mir war klar, dass es auch persönlich passen muss“, erzählt Kallus und ergänzt: „Die Chemie hat direkt gestimmt.“ Im Anschluss erhielt er Einsicht in alle relevanten Unternehmensunterlagen. Dazu nahm er eine Steuerberaterin mit. Außerdem hatte IHK-Nachfolgeexperte Michael Pieck einen gemeinsamen Beratungstermin mit Kallus und dem Senior-Eigentümer angeboten.

Nachdem alles besprochen war und ein für beide Seiten akzeptabler, angemessener Preis für das Unternehmen feststand, erfolgte die formale Übergabe zum 1. Januar 2023. Seitdem ist André Kallus Unternehmer und Solo-Selbstständiger.

Er vertreibt Nicht-Eisen-Metalle, etwa Druckguss- und Strangpressmaterial, beispielsweise an Hersteller von Rehatechnik. Seine technische Expertise und Einkaufserfahrung aus seiner jahrelangen Tätigkeit für den Automobilzulieferer kommen ihm dabei zugute. Außerdem die Geschäftskontakte, die er mit dem Unternehmen übernommen hat. Zudem steht ihm der ehemalige Eigentümer noch als Berater zur Verfügung. „Das hilft mir bei ungewöhnlicheren Aufträgen und Spezialthemen sehr weiter“, sagt Kallus.

Schwarze Zahlen schreibt er mit dem Betrieb noch nicht. Deshalb stellte er sich zeitgleich noch auf ein zweites Standbein: Er kooperiert mit einem befreundeten Elektrobetrieb und montiert Photovoltaik-Anlagen. Ziel ist jedoch, den Kundenkreis und Umsatz der HG-Alu kontinuierlich zu erhöhen.

Katja van Leeuwen hatte bei ihrer gut vorbereiteten Unternehmensübergabe im ersten Anlauf hingegen Pech: Die Angestellte, die als Nachfolgerin auserkoren war, hatte dann doch andere berufliche Pläne und kündigte. „Das war schon eine bittere Erfahrung, ich war ziemlich niedergeschlagen“, erzählt die Unternehmerin aus Königswinter. Sie suchte Rat bei der IHK und tauschte sich intensiv mit Nachfolgeberater Michael Pieck aus. Sie nutzte die Netzwerkangebote der Kammer (siehe Seite 22) und nahm an Stammtischen für Nachfolgeinteressierte teil. So erfuhr sie auch von der Nachfolgebörse „nexxt-change“. Dort sucht sie nun bundesweit nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin. Erste Kontakte gibt es bereits.

Von Lothar Schmitz, freier Journalist, Bonn