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Mariam Asefi (PHOTOGRAFIC Berlin, Vivian Werk)Viele Personen kommen aus dem Ausland nach Deutschland, um sich operieren und behandeln zu lassen. Sie bleiben einige Tage und bringen häufig Familienmitglieder mit. Die übernachten in Hotels, gehen einkaufen und essen und besuchen Kulturveranstaltungen. Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Es gibt Menschen, die nicht wegen des Kölner Doms, des Brandenburger Tors, Schloss Neuschwanstein oder der Schönheiten des Mittelrheintals nach Deutschland reisen, sondern deren Reiseanlass ein medizinischer Eingriff darstellt. Meist kommen sie aus dem Ausland. Der sogenannte „Medizintourismus“ ist in einigen Regionen zum ernstzunehmenden Wirtschaftsfaktor geworden. An der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Sankt Augustin widmet sich sogar ein eigener Forschungsbereich dem Medizintourismus.
Vor wenigen Monaten legte die Hochschule eine aktuelle Studie vor. Demnach hat der Medizintourismus für das deutsche Gesundheitssystem durchaus Bedeutung: Mit Patientinnen und Patienten aus dem Ausland wurden 2021 Einnahmen in Höhe von etwa 750 Millionen Euro erzielt. Die Corona-Pandemie hatte die Entwicklung zunächst ausgebremst. Für 2023 prognostiziert die Forschungsstelle einen Umsatz von knapp unter einer Milliarde Euro. „Teilweise gibt es in einigen medizinischen Einrichtungen wieder genauso viele Anfragen wie vor der Pandemie“, sagt Mariam Asefi, Leiterin des Forschungsbereichs Medizintourismus an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, „es können gar nicht alle bedient werden.“
Grund für die beständige Nachfrage nach komplexen medizinischen Behandlungen in Deutschland sind laut Studie die defizitären oder eingebrochenen Gesundheitssysteme im Ausland. „Gerade bei seltenen Erkrankungen und hochspezialisierter Medizin ist Deutschland nachgefragt“, berichtet Asefi, zudem genieße das deutsche Gesundheitssystem im Ausland Vertrauen. „Verglichen mit Wettbewerbern wie USA, Israel oder Großbritannien ist zudem das Preis-/Leistungsverhältnis in Deutschland günstig.“
Zu den wichtigsten Herkunftsländern zählen die Nachbarländer Polen, Niederlande, Österreich, Belgien, Rumänien und Schweiz. Sie haben beispielsweise den Golfstaaten den Rang abgelaufen. Von dort kamen lange Zeit sehr viele Medizintouristen nach Deutschland, teils für mehrere Wochen und in Begleitung ihrer Familien. „Der arabische Raum bleibt dennoch ein sehr wichtiger Markt, gerade auch für die Region Bonn/Rhein-Sieg“, erklärt Asefi. Kuwait hole nach jahrelanger Pause derzeit wieder auf, die Nachfrage steige beträchtlich. Auch Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate seien wichtige Herkunftsländer.
Was den wirtschaftlichen Effekt betrifft, spielt Medizintourismus auch deshalb eine Rolle, weil die Patientinnen und Patienten in der Regel länger bleiben als herkömmliche Städtetouristen und häufig in Begleitung anreisen. „Das ist ein lukratives Marktfeld“, betont Asefi, „Medizintourismus ist ein Treiber für den Tourismus.“ Ihren Untersuchungen zufolge profitieren beispielsweise Hotellerie und Gastronomie, Autovermietungen, Apotheken und Sanitätshäuser oder auch Anbieter von Übersetzungsdienstleistungen und Patientenbetreuung.
Auch Bonn galt bis vor ein paar Jahren als wichtiges Medizintourismus-Ziel. „Die Region hat in dieser Hinsicht aber enorm an Image verloren“, sagt Asefi. Es fehle an entsprechenden Marketinginitiativen auf den ausländischen Herkunftsmärkten und einer entsprechenden strategischen Ausrichtung. Immerhin: Bonn könnte an alte Zeiten anknüpfen. „Hier in der Region ist ein starkes Potenzial an medizinischer Expertise vorhanden, außerdem sehen wir weiterhin Nachfrage etwa aus arabischen Ländern“, berichtet die Forscherin. Beides müsse man wieder viel stärker zusammenbringen.
Was zeichnet einen guten Medizintourismus-Standort aus? „Allem voran natürlich hohe medizinische sowie Servicequalität. Aber auch eine gute Infrastruktur und die Nähe zu einem internationalen Flughafen“, zählt Asefi auf. Auch Touristik- und Shoppingangebote würden eine Rolle spielen. Und: „Es muss eine zentrale, professionell organisierte, gut vernetzte Einheit geben, die die Märkte strategisch bearbeitet und bei der alle Fäden zusammenlaufen“, betont Asefi. Bonn schöpfe diese Möglichkeiten derzeit nicht aus. Anderswo sehe es besser aus. Vorbilder? „Düsseldorf Tourismus und visit Berlin“, so Asefi, „sind Best-Practise-Beispiele.“
Lothar Schmitz, freier Journalist, Bonn