Situation in Deutschland

Die deutsche Bundesregierung hat am 22. Februar das Genehmigungsverfahren für Nord Stream 2, die neue Erdgasleitung von Russland nach Deutschland ausgesetzt. Am 24. Februar griff Russland die Ukraine an. Sanktionen und Gegensanktionen, was weitere Sanktionen nach sich zieht. Vor dem Hintergrund einer hohen Abhängigkeit von russischen Gas-, Öl- und auch Kohlelieferungen führt dies zu weiter steigenden Energiepreisen. Wie ist die Diversifizierung der Energieversor-gung kurzfristig zu erreichen, wie schnell ist Energie aus Russland zu ersetzen, wie entwickeln sich die Energiemärkte? Diese und andere Fragen versucht dieses Papier zu beantworten.   

•    Als größter europäischer Erdgasimporteur bezieht Deutschland rund 55 Prozent seines Erdgases aus Russland über Pipelines, ein Viertel aus Norwegen und ein Fünftel aus den Niederlanden, die EU auch aus Algerien. 33,6 % der euro-päischen Erdgasimporte, d. h. 56,3 Mrd. Kubikmeter, sind 2020 nach Deutschland gegangen. Deutschland ist also auch besonders abhängig von russischen Erdgasexporten. Aktuell liefert Russland das Gas aus langfristigen Lieferverträ-gen. Dies kann sich aber schnell ändern. 

•    Deutschland verfügt über 47 Untertagespeicher für Gas, die von rund 25 Firmen betrieben werden. Die Speicher ergänzen den Gasbezug über Pipelines. Die Füllstände der Erdgasspeicher sind derzeit niedrig, aber nicht mehr historisch tief. Je länger die Temperaturen mild sind, desto länger reichen die Vorräte. An-fang März 2022 hat die Bundesregierung für die Einspeicherung zusätzlichen Flüssigerdgases (Liquefied Natural Gas, LNG) 1,5 Mrd. Euro freigegeben. 

•    Die Lage in den einzelnen europäischen Ländern ist unterschiedlich. In Frankreich machen russische Gasimporte etwa 20% des Gasverbrauchs aus. Der französische Energieerzeuger Engie gab bekannt, dass er mehr Gas als im Durchschnitt wegen möglicher Versorgungsunterbrechungen gelagert hat. Die Speicherfüllstände sind jedoch seit dem 7. März mit 25,5 TWh unter 20% gesunken. Ähnlich ist die aktuelle Lage in den Niederlanden. In Belgien liegen die Speicherfüllstände mit 1,55 TWh bei 17%, in Spanien mit 19,88 TWh bei 58% (bleibt konstant) und in Italien mit 70,39 TWh bei mehr als 35%. 

•    Im Jahr 2021 hat sich der Preis für nach Deutschland importiertes Erdgas im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt und betrug im Durchschnitt rund 25.500 € je 1.000 MWh, gegenüber 12.300 € im Jahr 2020. Der Preis für impor-tiertes Erdgas stieg ab Mitte 2021 rasant an und erreichte im Dezember 2021 einen Preis von 53.200 € je 1.000 MWh (+248 % im Vergleich zum Vorjahr). Gleichzeitig lagen die Erdgasimporte zwischen Januar und Oktober 2021 um 5 % unter dem Vorjahresniveau. Nichtsdestotrotz ist der Wert der Erdgasimporte nach Deutschland zwischen 2020 und 2021 von 24 auf rund 34 Milliarden Euro gestiegen.

•    Russland droht seit Beginn der Sanktionen mit höheren Preisen für Gas. An-fang Januar 2022 betrug der Grenzübergangspreis für russisches Erdgas noch 660 € pro Kubikmeter, was für einen europäischen Verbraucher Kosten in Höhe von 80 Euro/MWh ausmachte. Medwedew, der Vizechef des russischen Sicher-heitsrats kündigte gleich nach den Sanktionsankündigungen an, dass Europäer bald doppelt so hohe Preise für Gas zahlen werden. Dieses Niveau haben wir Anfang März bereits erreicht. 

•    Der Japan-Korea-Marker (JKM), der in der Region häufig als Spot-Benchmark für Erdgaspreise verwendet wird, kletterte am 3. März auf ein Rekordhoch von knapp 60 $ pro MMBtu. Im Vergleich erreichte der europäische Frontmonats-Gaspreis am selben Tag ein neues Rekordhoch bei sogar 199 Euro pro Mega-wattstunde (MWh), was rund 65 $/MMBtu entspricht. Die US-Erdgaspreise lagen am 7. März bei nur 5,2 $/MMBtu.

•    Unternehmen, besonders die Industrie, an die 36 % der Erdgasverkäufe gehen, leiden extrem unter den hohen Energiepreisen. In der Befragung des DIHK zu Strom- und Gaspreisen sahen bereits im Februar 2022 53 % der Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der hohen Energiepreise am Standort Deutschland nicht mehr als gegeben an. In der Vorumfrage im Oktober 2021 waren es noch 46 %. Für ein Viertel der Unternehmen hatten sich die Strom- und Gaspreise seit letztem Jahr im Februar bereits mehr als verdoppelt. Für Investitionen in Klimaschutz fehlt das Geld. 

•    Hinzu kommt: Der Gasbedarf wird stark steigen, um den Ausstieg aus der Atom-kraft und der Kohle zu kompensieren und in der Industrie eine Prozessumstellung auf Wasserstoff zu ermöglichen. Das war bisher politisch gewollt. Bis 2030 wurde bisher prognostiziert, dass die Kapazität von Gaskraftwerken erheblich gesteigert werden muss. 

•    Deutschland und die EU versuchen, den Einkauf von Flüssigerdgas zu erhö-hen. Lieferanten von LNG sind bisher Katar, Nigeria, Trinidad & Tobago und die USA. Gespräche laufen zusätzlich mit Aserbaidschan und Ägypten. Katar und Japan könnten zusätzliche Mengen liefern. Die Importterminals für LNG in den Nachbarländern haben allerdings schon jetzt keine Kapazitäten für zusätzliche Lieferungen. Dabei gibt keine standardisierte Statistik für die Gesamtkapazitäten der europäischen LNG-Terminals.

•    Spanien hat sechs LNG-Terminals, mit 60 Mrd. Kubikmetern ein Drittel der euro-päischen Importkapazität und die größte LNG-Import-Menge aller EU-Länder, gefolgt von Frankreich. Das Problem: Es gibt keine Pipelines von und nach Spanien, das LNG kann also von Spanien nicht in andere Länder transportiert werden. 

•    Öl und Kohle aus Russland spielen für die Energieversorgung Deutschlands eine geringere Rolle als Gas. Deutschland importiert derzeit 2 % des weltweiten Volumens an Steinkohle aus Russland, was 18 Millionen Tonnen pro Jahr ent-spricht. Diese Lieferungen können durch Importe aus den USA, Kolumbien, Südafrika, Australien, Mosambik und Indonesien ersetzt werden. Die Umstellung würde längere Lieferwege und höhere Preise implizieren, aber sie wäre inner-halb einiger Monate möglich. 

•    Allerdings liegt der Preis für diese Alternativen weit über dem Preis von russi-schem Öl (Urals), das im Februar im Durchschnitt bei 95,2 $ pro Barrel lag (Auf-wärtstrend). Zum Vergleich lagen am 7. März der Preis für europäisches Rohöl (Brent) bei 123$ pro Barrel und der Preis für amerikanisches Rohöl (WTI) bei 119,4$ pro Barrel. 

•    Grundsätzlich ist also ein Ersatz durch andere Anbieter möglich, wenn auch ebenfalls nicht preisneutral. Öl wird wie Kohle per Schiff transportiert, eine neue Infrastruktur braucht nicht geschaffen werden. Für Öl gibt es jetzt schon strategische Reserven. Der Export von Öl ist für den russischen Staatshaushalt zwar fünfmal wichtiger als der Export von Gas, aber auch Russland kann auf andere Abnehmer ausweichen. Sanktionen wären von beiden Seiten also voraussicht-lich wenig wirkungsvoll, aber auch wenig gefährlich. 

•    Angesichts der steigenden Nachfrage in Europa kam es Anfang März auch auf den globalen Kohlemärkten zu einem starken Preisanstieg. Beispielsweise stieg der Preis für Australien FOB Newcastle um 25,65 $ auf 205,25 $/mt, für indone-sische FOB Kalimantan um 41,50 $ auf 200 $/mt und für nordostasiatische Kraftwerkskohle um 28,23 $ auf 248,63 $/mt.